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wunderunglied nunmehr 137, von dem Hausstandreim 128 Fassungen in meinen
Händen, d. h. mehr als bisher aus dem ganzen übrigen Deutschland zusammen
genommen veröffentlicht sind. Eine reinliche Scheidung der einzelnen Reime wird
vielfach unmöglich sein. Das greift hinüber und herüber, oft hat man ein selt
sames Gemisch zertrümmerter Reste altererbter Dichtung vor sich, die sich um
einen dem Verderben länger trotzenden Kern krystallisirt haben.
Auf einem Gebiete ist der Stoff seit der Veröffentlichung meines ersten
Berichts um mehr als das Fünffache gewachsen. Durch die Funde der Mitarbeiter
in Strelitz, wo die beim Bandalieren der Tabackblätter üblichen Zusammenkünfte
alte Dichtung in lebendigem Brauch erhalten haben, aufmerksam gemacht, habe
auch ich in den letzten Jahren nach hochdeutschen Volkliedern fleissig geforscht
und dabei entdeckt, da*ss es auch auf diesem Gebiete nur darauf ankommt, die
rechten Quellen zu finden. Balladen und Liebelieder sind bereits in Fülle bei
sammen. Auch an historischen Liedern und Reimen ist Manches Beachtenswerte
zum Vorschein gekommen. Soldaten-, Matrosen-, Fischer-, Handwerkburscheu
lieder werden weiterer Sammelarbeit zur Beute fallen.
Aber auch nach einer anderen Richtung hin haben die letzten Jahre mir
grosse Ueberrascliungen gebracht. Das Material an Sagen, Märchen, Erzählungen,
abergläubischen Meinungen u. s. w. wächst bei tieferem Eindringen immer mehr
über das Werk von Bartsch hinaus. Allein aus dem Munde von vier in Waren
und dessen nächster Umgebung gebürtigen Männern konnte ich über 80 belang
reiche Sagen aufzeichnen, die bei Bartsch fehlen. Aehnlich wird es an anderen
Orten sein; hier ist freilich mehr denn sonst langsames, vorsichtiges Vorgehen von
uöten, um das Vertrauen der Gewährmänner zu gewinnen und sie zu rückhaltloser
Hergabe ihres Wissens zu bestimmen.
Ich hebe aus den neuen Funden hervor: wichtige Teufel-, Hexen- und
Kobold-Sagen, zahlreiche Sagen von der Siebfahrt des Mort nach Engelland, für
die sich bei Bartsch kein Beispiel findet, neue Sagen vom drak, vom snakenkönig,
von Pumpfuss, vom Blick in’s Paradies, von der Strafe derer, die ewig zu leben
wünschten, neue Freischützsagen u. a. m. Auch der aus der Polyphem-Sage be
kannte Zug, das Herbeirufen von Helfern seitens des Gegners durch Entstellung
des eigenen Namens zu vereiteln, ist in bedeutsamer Weise mehrfach hervorge
treten. Die Gudrunsage dagegen hat sich bisher noch allen Nachstellungen
entzogen.
Wichtige Sagen vom Wold hat Herr Schröder in Völkhagen mitgeteilt und
Herr Kantor Schnell spürte in Granzow bei Mirow sichere Zeugnisse für eine
mimische Darstellung von Fru Goden auf, deren Bekanntwerden bei den Mythologen
Aufsehen erregen wird. Die Verteilung der verschiedenen Namenformen Wold,
Waur, Fru Goden, Fru Gosen, Fru Waus u. s. w., die Abgrenzung des Bezirkes,
in dem ein bestimmter Name für den wilden Jäger überall nicht auftritt, bedarf
näherer Feststellung, die sich vielleicht im Zusammenhang mit der Untersuchung
über waedick und arpel für die Kolonisation-Geschichte unseres Landes be
deutungvoll erweisen wird. Das Märchenbuch wird reichen Inhalt zeigen; einzelne
Erzähler haben sich einen ganz erstaunlichen Besitz bewahrt.
Auch sinnreiche Erzählungen sind in grosser Zahl ans Licht gekommen,
so von Gotjed, der sich aufhängen wollte, von dem, der das Weitende suchte, von
dem, der die Gottheit ergründen wollte, von Gottlob und Gottsleider, von den
drei Christen an der Himmelthür u. s. w. Auch die Gruppe der lieben „Anekdoten“
und Schnurren“ hat ansehnliche Bereicherung erfahren. An Sympathieformeln,
Ilimmclbriefen, Diebsegen, Feuersegen u. s. w. liegen etwa 400 Nummern vor.
Herausgeber: Dr. Friedrich S. Krauss, Wien VII/2. Neustiftgasse 12.
Verwaltung in Lunden in Holstein.
Druck von Diedr. Soltau in Norden.