B. Referate. Ethnologie.
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ist schwer zu beantworten, denn wir fragen uns meistens nie: „Wie denkt
das der Eingeborene?“ sondern wir suchen nach dem besten Ausdruck in
unserer eigenen Sprache. Im Grunde genommen müssen ja die Gesetze des
menschlichen Denkens von allen Sprachen unabhängig sein. Sicher entspricht
wohl keine Sprache diesen Gesetzen am besten, mit grösster Wahrscheinlich
keit vielleicht das Chinesische. Unser Autor hält es für möglich, dass ein
Mensch, der zunächt in einer Sprache denken gelernt hat, eine zweite ganz
verschiedene richtig denken lernen und dass ein Kind zugleich in zwei
Sprachen denken lernen kann.
Die ursprüngliche Bedeutung und Entstehung der Flexionen der indo
germanischen Gruppe kann z. Z. nicht befriedigend erklärt werden; wir müssen
andere Sprachen wissenschaftlich zergliedern, die vielleicht in ihrem Bau
klarer sind und auf den der indogermanischen Sprachen Streiflichter werfen
könnten und vielleicht wird auf amerikanischem Boden die sprachgeschicht-
liche Forschung einige ihrer ergiebigsten Minen finden.
Die Agglutinationstheorie als Erklärung der Flexionen ist nach Yerf.
insofern richtig, als Flexion nach seiner Auffassung in Zersetzung über
gegangene Agglutination ist. Der Yerfall beginnt durch phonetische Ur
sachen und wird nicht mehr durch psychologische Gründe der Klarheit auf
gehalten. Die meisten agglutinierenden Sprachen zeichnen sich durch grosse
Regelmässigkeit des Baues aus; dieselbe grenzt manchmal für den an Flexion
gewohnten Forscher geradezu ans Unglaubliche. Die bei den agglutinierenden
Sprachen primitive Einfachheit verliert sich allerdings gegen das Ende der
Entwicklung beim Übergang zur Flexion. In den flektierenden Sprachen
bildet sich erst von neuem eine Einfachheit heraus, indem die Endungen
zusammenschmelzen und schliesslich abfallen, während andererseits die Be
ziehungen durch neue Hilfsworte ausgedrückt werden, die wieder mit einer
Regelmässigkeit verwandt werden, die der Agglutinationsregelmässigkeit ent
spricht. Auf diesem Wege ist das Englische weiter fortgeschritten als
irgend eine andere europäische Sprache. — Das Wesen des Zustandes der
Flexionslosigkeit einer Sprache wird am besten am Chinesischen ersehen.
Dies ist keineswegs, wie durch Schleicher verbreitet wurde, der lypus der
Ursprachen, aus denen später die agglutinierenden Sprachen hervorgegangen
sein sollten, sondern die feste Wortstellung des Chinesischen hat sich erst
allmählich entwickelt beim Übergang von einer älteren flexivischen Sprach-
stufe zur heutigen flexionslosen. „Eine so streng logische Gliederung, wie
sie das heutige Chinesische aufweist, ist auch schlechterdings dem Urmenschen
nicht zuzutrauen, sie ist vielmehr die höchste sprachliche Errungenschaft
des Menschengeistes, denn sie ermöglicht es, mit der geringsten Kraft
anstrengung die Beziehungen der Begriffselemente klar und deutlich auszu
drücken. Das Chinesische ist also vom psychologischen Standpunkt die
höchstentwickelte Sprache, die wir kennen.“