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B. Referate. Ethnologie.
Bibliographien. — Beachtenswert ist, dass in dem vorliegenden Bande die
russische geographische Litteratur (bei gleichzeitiger Hinzufügung einer
deutschen Übersetzung der Titel) durch M. Groll in Charlottenburg eine
grosse Vervollständigung erfahren hat. Der Umfang des 8. Bandes ist der
gleiche wie des vorausgehenden geblieben. Buschan-Stettin.
243. Rudolf Lenz: Über den Ursprung und die Entwickelung der
Sprache. Die Neueren Sprachen. Zeitschrift f. den neu
sprachlichen Unterricht, herausgegeben von Wilhelm Victor.
1900—1901. Bd. VIII, S. 449—472, 513—534 u. 577—589.
Bd. IX, S. 1—12.
Der auf dem Gebiete der araukanischen und allgemeinen Sprach
forschung wohl bekannte Sprachforscher Rudolf Lenz hat die Gelegenheit
benutzt, eine Besprechung des Buches vou Jespersen (Progress in Language
with special reference to English, London 1894, Swan Sonnenschein & Co.)
zu einer wirklichen Kritik desselben zu erweitern und mit Berücksichtigung
des klassischen Werkes Georg von der Gabelenz (Die Sprachwissenschaft,
ihre Aufgabe, Methoden und bisheriger Ergebnisse, Leipzig, Weigel 1891)
seine eigenen Ideen über Ursprung und Entwickelung der Sprache daran
anzuknüpfen. Der reiche Inhalt der Abhandlung kann kaum nur angedeutet
werden; aber wer als Nicht-Fachmann auf linguistischem Gebiete auch nicht
überall zu folgen vermag, wird doch für die allgemein-wissenschaftlichen
Schlüsse dankbar sein, Schlüsse, die für die Gesamtanthropologie von höchster
Wichtigkeit sind. Soweit es dem nicht speziell sprachlich geschulten Inter
essenten möglich, sei auf die offenbar wichtigsten Punkte teilweise in
wörtlicher Wiedergabe eingegangen.
Die bekannte Einteilung der Sprachen in isolierende, agglutinierende
und flektierende sollte nach Schleicher den Gang der Entwickelung aller
Sprachen darstellen, abgeschlossen in der vorgeschichtlichen Zeit des Menschen
geschlechts, da die Sprachen innerhalb des Beobachtungszeitraumes, also in
geschichtlicher Zeit, kein Werden mehr, sondern nur ein Vergehen, Altern,
Verfallen, Auflösen zeigen. Letzteres ist indess nur eine Unvorsichtigkeit
beim Ausdruck; statt von morphologischer Analyse und phonetischem Zerfall
zu reden, sprach man allgemein vom Verfall der Sprachen.
Was das Erlernen der Muttersprache von Seiten des Kindes anbelangt,
so kommt Lenz zu dem Resultat, dass dies von dem Kinde grössere oder
geringere Anstrengung verlangt, je nachdem die Sprache phonetisch und
morphologisch einfach oder kompliziert ist, und dass eine angeborne Dis
position für die Sprache der Eltern durchaus nicht vorhanden ist.
Das Verhältnis der Sprache zur allgemeinen Psychologie und zur
absoluten Logik ist noch wenig aufgeklärt. Wie weit lässt sich die Logik
einer bestimmten Sprache von den absoluten Denkgesetzen trennen ? Das