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Besprechungen
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Was diesen ersten Teil des Jacobscben Werkes über das darin gebotene reiche Faktenmaterial
hinaus auszeichnet, ist das Bemühen des Verf., soweit wie möglich den Wandel in der Darstellung
der Stadtansicht im Bezug zur Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu sehen. Hier werden
für das 16. und 17. Jh. vor allem das Entstehen eines aufstrebenden Bürgertums, für das 18. Jh. ins
besondere die Ausbildung des Feudalabsolutismus sowie für das 19. Jh. zunächst das Erstarken des
Nationalgedankens und später das Aufkommen des modernen Industriekapitalismus genannt. Doch
bleibt der Verf. mit Recht bei dergleichen Interpretationen vorsichtig und sieht deren Grenzen, wenn
er, von Karl Marx ausgehend, betont: „Es gibt [im Bezug Kunstwerk - gesellschaftliche Situation]
keine automatische oder absolute Abhängigkeit. Gerade bei der Kunst ist zu beachten, daß sie ihren
eigenen Traditionen stark verpflichtet ist, die Abhängigkeiten von der ökonomischen Basis vermittelt
in Erscheinung treten.“ (S. 149)
Trotz solcher Einschränkung aber sieht Jacob in der historischen Stadtansicht - insbesondere in
der des 17. Jh. - eine echte historische Quelle, die bis heute nicht in genügendem Maße ausgewertet
wurde. Begründet ist dies nach seiner Meinung in den nicht zu leugnenden Schwierigkeiten solcher
Auswertung, für die er eine Reihe methodischer Hinweise gibt. Danach sind bei Bemühungen, Stadt
ansichten als Quelle zu nutzen, in jedem Fall Kenntnisse über die Person, die landschaftliche Her
kunft und die soziale Lage des Künstlers sowie über die Entstehung seines Werkes (z. B. ob freie
oder angeforderte Schöpfung) und dessen kulturhistorische Einordnung unerläßlich, so daß eine be
friedigende Auswertung historischer Stadtansichten wohl nur in enger Kooperation mehrerer Wissen
schaftsdisziplinen möglich ist. Dabei können jedoch Aussagen sowohl zur Wirtschafts- und Kultur
geschichte als auch zur Baugeschichte einer Stadt oder einer Landschaft gewonnen werden. Der Rez.
denkt vor allem an Feststellungen zur baulichen Entwicklung einer Stadt (und zwar durch Vergleich
von Ansichten verschiedener Zeitstellung), an die Bestimmung regionaler Bauformen, an Aussagen
über das Verhältnis von Steinbau und Fachwerk, über die Gestaltung des Außenbildes in Giebelform,
Schauseite und Dachausbildung oder über die Eigenart der Feuerstätten (mit und ohne Schornstein)
usw.
Das Werk ist vorbildlich illustriert. Über 200, zu einem Teil ganz- oder auch doppelseitige Repro
duktionen zeigen die Entwicklung der Stadtansicht vom 4. bis ins 19. Jh., wobei die einwandfreie,
klare Wiedergabe der Originale besticht. Insgesamt vermitteln sie in Ergänzung zum Text dem inter
essierten Leser einen instruktiven Überblick über die unterschiedliche Lösung der den Künstlern in
der Darstellung einer Stadt gestellten Aufgabe. Um so mehr überrascht es, daß in einem Werk wie
diesem, das für jeden Interessierten ein wertvolles Kompendium zur Geschichte und Auswertung
historischer Stadtansichten in marxistischer Sicht darstellt, jedes Register fehlt. Orts- und Personen
register hätten den Wert dieser Publikation als Nachschlagewerk nicht unbeträchtlich erhöht.
KARL BAUMGARTEN, Rostock
MICHAEL SCHMITT/JOCHEN LUCKHARDT, Realität und Abbild in Stadtdarstellungen des 16.
bis 19. Jahrhunderts. Untersuchungen am Beispiel Lippstadt. Münster, Coppenrath Verlag, 1982.
172 S., 47 Abb., 1 Karte (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Bd. 31).
Jede alte Stadtansicht hat ihren besonderen Reiz - für den Einheimischen wohl mehr noch als für
den anderswo Beheimateten. Und Nachbildungen, Reproduktionen sieht man heutzutage überall, in
Bilderläden und Buchhandlungen, in Kunstgewerbegeschäften und andern Verkaufsstätten. Der Be
trachter ist zumeist geneigt, all das, was er auf den historischen Darstellungen abgebildet vorfindet,
sozusagen für bare Münze zu halten. Das erweist sich freilich schon nach ersten Untersuchungen oft
genug als ein Irrtum.
Diesem Irrtum sind die beiden Autoren des hier zu besprechenden Buches nicht erlegen. Im Gegen
teil, sie weisen in ihrer äußerst kritischen Studie nachdrücklich auf Grenzen der Auswertbarkeit dieser
Bildwerke hin und stellen fest, daß die Abbildungen gar nicht selten von der topographischen Wirk
lichkeit erheblich abweichen. Fehler in den weithin verbreiteten Stadtansichten des 16. und 17. Jh.
sind dem Fachmann hinlänglich bekannt. Sie haben nicht zuletzt ihre Ursache im Herstellungsverfah
ren berühmter Werkstätten, wie etwa der des Georg Braun und Frans Hogenberg in Köln oder der