Digitalisate

Hier finden Sie digitalisierte Ausgaben ethnologischer Zeitschriften und Monografien. Informationen zum Digitalisierungsprojekt finden Sie [hier].

Suchen in

Volltext: Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte, 13=28.1985

Besprechungen 
231 
CHRISTIANE HOMOET/DIETMAR SAUERMANN/JOACHIM SCHEPERS, Sterbfallinventare 
des Stiftes Quernheim (1525-1808). Eine quellenkritische Untersuchung zur Diffusionsforschung. 
Münster, Coppenrath Verlag, 1982. 201 S., 22 Abb. (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwest 
deutschland, Bd. 32). 
„Sterbfall“ ist eine regionale Bezeichnung für das herrschaftliche Recht, beim Todesfall eines bzw. 
einer „Eigenbehörigen“ dessen bzw. deren halben beweglichen Nachlaß einzuziehen (unter spätfeu 
dalen Verhältnissen normalerweise in Form eines Geldäquivalents). Nach marxistischem Verständnis 
handelt es sich um einen variablen Bestandteil der Feudalrente. 
Die Verf. erläutern zunächst die territorial- und verwaltungsgeschichtlichen Grundlagen der Quel 
lensituation und gehen dann zur Analyse von 1528 auswertbaren Sterbfallinventaren aus dem Herr 
schaftsbereich des ehemaligen adligen Damenstifts Quernheim, Kreis Herford/Westfalen, über. Diese 
Analyse verbleibt weitgehend im quellenkritischen Vorfeld und bringt dennoch wissenschaftlichen 
Ertrag. Sie zeigt nämlich sehr klar, wie problematisch es ist, die Verzeichnung bzw. Nichtverzeichnung 
eines Gegenstandes in derartigen Nachlaßverzeichnissen mit dessen tatsächlichem Vorhandensein bzw. 
Nichtvorhandensein gleichzusetzen. Hervorgehoben sei z. B. der Nachweis, daß die Verzeichnung 
bestimmter Gegenstände mit den Amtszeiten bestimmter Stiftsbeamter korrespondiert, eine Nicht 
verzeichnung also nichts mit der Realität zu tun haben muß, sondern Ergebnis abweichender Inven 
tarisierungspraxis sein kann. Auch hinsichtlich vieler anderer Punkte wird überzeugend argumentiert 
und der euphorischen Erwartung entgegengearbeitet, solches Quellengut sei allemal quantifizierbar 
und damit in hohem Maße für EDV-Auswertung geeignet. Das bedeutet einen - letztlich frucht 
baren - Widerspruch zur quantifizierenden Methodik, wie sie beim Münsteraner Projekt „Diffusion 
städtisch-bürgerlicher Kultur vom 17. bis zum 19. Jh.“ anhand dieser Quellengattung sonst praktiziert 
wird (vgl. Uwe Meiners/Ruth E. Mohrmann/Klaus Roth, in: Probate inventories. A new source for 
the historical study of wealth, material culture and agricultural development. Wageningen 1980, 
S. 97 ff.). 
Be ; all dem nützlichen Falsifizieren kommt das Verifizieren etwas knapp weg. Immerhin versuchen 
sich Sauermann und seine Mitarbeiter an der qualitativ-quantitativen Analyse einiger „Diffusionsvor 
gänge“ (S. 99 ff.), indem sie nicht nur rechnen, sondern auch ordnen, gewichten und werten. Als 
Beispiele stehen Anrichte, Kleiderschrank und „Koffer“, deren Eindringen in die bäuerlichen Haus 
halte chronologisch und sozial differenziert untersucht wird. Demnach weisen etwa um 1730 schon 
80% aller bäuerlichen Sterbfälle die Anrichte auf, dagegen erst 45% der Sterbfälle aus den Schich 
ten der Landarmut, bevor das Möbelstück um 1800 bei den durch Sterbfälle erfaßten Stiftshinter 
sassen fast ausnahmslos verzeichnet ist. Der Rezeptionsvorgang bei Kleiderschrank und Koffer zeigt 
sich phasenverschoben: Er steckt um 1720/1730 noch in den Anfängen und verläuft ab etwa 1750 
parallel zu dem der Anrichte. Kriegszeiten und landwirtschaftliche Konjunkturschwankungen zeichnen 
sich nur relativ geringfügig ab, was sicherlich damit zusammenhängt, daß die Sterbfallverzeichnisse 
nur das Vorhandensein zum Zeitpunkt des Todes bzw. der anderweitig notwendig gewordenen Be 
standsaufnahme belegen, aber nicht den jeweiligen Zeitpunkt des Erwerbs. 
Ein umfangreicher Anhang (S. 151 ff.) bringt ergänzendes Material, darunter einige vollständig 
wiedergegebene Sterbfallinventare und ein aufschlußreiches Verzeichnis der in den Inventaren über 
haupt genannten Gegenstände - letztere im engsten Wortsinn verstanden. Dadurch fehlt hier (wie in 
den Tabellen S. 36 ff. und S. 50 ff.) wie auch in der gesamten Analyse eine Hauptposition, die bei 
der Sterbfallaufnahme stets am gründlichsten und öffenbar am vollständigsten erfaßt wurde, nämlich 
das Vieh. Auch die Angaben zur Feldwirtschaft, die - wie die abgedruckten Beispiele zeigen - 
wenigstens teilweise in den Verzeichnissen vorhanden sind, wurden bei der Analyse ausgespart. Be 
sonders die kontinuierlichen Daten zum Viehbesitz hätten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine 
zunächst quantifizierende Analyse und im Ergebnis äußerst interessante Rückschlüsse auf bäuerliche 
Dispositionen, Leistungen und Belastungen ermöglicht (nebenbei bemerkt wäre dann auch die Irrele 
vanz des Kriegsgeschehens nicht konstatiert worden: Kleiderschränke wurden im Krieg seltener 
gestohlen als Pferde). Es leuchtet ein, daß bäuerlicher Viehbesitz als Untersuchungsgegenstand kaum 
attraktiv ist, wenn man, gebunden an ein vorgegebenes Generalthema, die „Diffusion städtisch 
bürgerlicher Kultur“ zu untersuchen hat. Nur sollte dann die durchaus nützliche Quellenkritik nicht 
zu pauschal ausfallen und einräumen, daß auf anderen und wichtigen Gebieten der bäuerlichen mater
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.