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Erich Seemann
lebe wolil, mein Lieb“, „So hab’ ich nun die Stadt verlassen“ und
„O brich nicht, Steg, du zitterst sehr“ bietet.
Uhlands Gedicht lautet:
Einkehr
Bei einem Wirte, wundermild,
Da war ich jüngst zu Gaste;
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.
Es war der gute Apfelbaum,
Bei dem ich eingekehret;
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.
Es kamen in sein grünes Haus
Viel leicht beschwingte Gäste;
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das beste.
Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
Auf weichen, grünen Matten;
Der Wirt, er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.
Nun fragt’ ich nach der Schuldigkeit,
Da schüttelt’ er den Wipfel.
Gesegnet sei er allezeit
Von der Wurzel bis zum Gipfel!
Aus Uhlands „Tagbuch“ 11 erfahren wir, daß das Gedicht am
20. November 1811 konzipiert wurde, am selben Tag, an dem Uhland
auch das vierte Stück der „Wanderlieder“ dichtete („Noch ahnt man
kaum der Sonne Licht“). Er muß die ,Einkehr 1 umgehend zur Beur
teilung seinem Freunde Justinus Kerner gesandt haben, denn dieser
schreibt ihm noch im selben Monat aus Wildbad: „Deine neuesten
Gedichte sind wieder ganz wie Du. Die Einkehr ist so herrlich wie
nur möglich, dabei so deutsch wie die Lieder aus Fischart“ 12 , und in
einem Briefe vom 18. Dezember 1811 konnte Kerner noch melden,
daß auch dem Studienfreund (Heinrich) Köstlin der „Apfelbaum“
sehr gefallen habe 13 .
11 Hsg. von J. Hartmann (Stuttgart 1898), S. 70.
12 Theobald Kerner, Justinus Kerners Briefwedisel mit seinen Freunden 1
(Stgt. u. Lpzg. 1897), S. 250.
13 Julius Hartmann, Uhlands Briefwechsel 1 (Stgt. u. Berlin 1911), S. 278.