Otto Genest: Kapitän Jakobsen's Reisen im Lande der Golden.
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wenn die Schamanen eine geschlossene Kaste bilden oder
ihre Geheimnisse in bestimmten Familien erblich
sind x ). Wird ein Schamane zu einem Kranken gerufen,
so wendet er die seltsamsten Mittel an, um die Heilung
desselben zu vollbringen. Entweder er sucht durch Tanzen,
Singen, Trommeln und die Verursachung anderen lauten
Geräusches den bösen Geist dahin zu bringen, daß er sein
Opfer verläßt, und er ist in diesem Falle oft freundlich
genug gegen den Vertriebenen, ihm einige Holzpuppen zur
Verfügung zu stellen, in welche er fahren darf, um an ihnen
seine weiteren Künste zu üben. Oder er saugt an den
kranken Stellen des Körpers eine Zeit lang und speit dann
irgend einen im Munde verborgen gehaltenen Gegenstand,
wie einen Stein oder ein Stückchen Eisen und ähnliches,
aus, indem er behauptet, daß diese Dinge in den Körper
des Patienten hineingezanbert worden wären und ihm die
Schmerzen verursacht hätten. Oder er übergiebt dem
Kranken beziehungsweise dessen Angehörigen förmliche
Recepte, durch deren Gebrauch sie geheilt werden sollen.
Diese Recepte sind höchst eigenthümlich. Sic bestehen ans
grauweißem, chinesischem Papier und sind bedeckt mit einer
Menge in groben Umrissen, aber doch ganz gut erkennbar
gezeichneter Figuren, unter denen Tiger, Panther, Bären,
Fische und andere Thiere besonders häufig erscheinen. Nach
diesen übrigens von den Schamanen selbst gefertigten
Recepten haben nun die Hilfesuchenden diejenigen Figuren
in Holz auszuschnitzen, welche ihnen der Arzt bezeichnet,
und sie dann entweder als Amúlete an den kranken
Körpertheil zu befestigen oder aber als Weihgeschenke den
betreffenden bösen Geistern darzubringen, von welchen sie
gequält zu werden glauben. So begegnen wir den Bildern
von Tigern, Panthern, Wölfen und Schweinen, welche gegen
Unterleibsbeschwerdcn helfen sollen; so heilt ein Bär, welcher
in ein menschliches Herz beißt, oder ein Vogel, der ein
solches Herz an seinem Schwänze trägt, Brustschmerzen
und Halskrankheiten * 2 ), so beseitigt eine menschliche Figur,
welche mehrere nicht näher zu bestimmende Thiere an einer
Leine hält, Krankheiten oder Schmerzen, die den ganzen
Körper belästigen. Auch die Abbildungen von Körpertheilen
erscheinen als Amúlete, um zur Heilung von Krankheiten
zu dienen. So wird ein menschlicher Kopf ohne Hals als
Heilmittel gegen Kopfschmerz und Nasenbluten verwendet;
Holzarmc, sowie Hände und Füße aus demselben Material
mit und ohne Gelenke 3 ) dienen zur Beseitigung der Schmerzen
in den genannten Gliedern; gegen Beschwerden in den
Schulterknochen sucht man Hilfe bei kleinen geflügelten
Menschenbildern, die mit Zeug umwickelt sind, während
gegen solche in den Knien auch wohl kleine Schuhe ans
Papier oder Fischhaut im Gebrauche sind. Neben allen
diesen Medikamenten gegen Gebrechen der Extremitäten fand
Jakobsen, allerdings nur selten, eiserne Ringe, welche wie
die meisten der vorgenannten Amúlete an den kranken Körper-
theilen befestigt und für besonders heilkräftig gehalten werden.
Für kreisende Frauen und Wöchnerinnen wird aus Wurzeln
Ob einer von beiden Fällen bei den Golden eintritt, ist
mir aus Jakobsen's Bericht und aus anderweitigen mir zu
gänglichen Mittheilungen von Reisenden nicht bekannt geworden,
doch darf ich wohl in dem, was W. Radloss in seiner Abhand
lung: Das Schamanenthum u. s. w., Leipzig 1885, S. 16 sagt,
eine Bestätigung meiner Meinung sehen.
2) Diese Amulete pflegen mit noch einigen anderen vereint
von den Kranken an einem Kopfringe getragen zu werden, wie
dieselben auch bei den Ainos auf Sachalin im Gebrauche sind.
3) Die Gelenke befinden sich bei diesen Holzgliedern nur an
denjenigen Stellen, wo der Kranke den Schmerz fühlt, also
etwa am Ellenbogen, am Handgelenke oder in einem oder
mehreren Fingern. Bei rheumatischen oder gichtischen Schmerzen,
die den ganzen Arm durchziehen, finden sie sich an den ge
nannten Stellen und an allen Fingern.
ein Trank gekocht, der ihre Schmerzen lindern soll, oder
man stellt in der Zeit der Geburtswehen an ihrem Lager
ein hölzernes Frauenbild mit stark aufgetriebenem llnterleibe
als Schutzgeist auf 1 ). Das eigenthümlichste unter allen
diesen Heilmitteln aber ist dasjenige, welches gegen Augen
krankheiten angewendet wird. Ueber einem dünnen, etwa
25 cm langen Stäbchen erhebt sich ein zweites in Bogen
form. Beide sind mit grauen Papierstreifen umwickelt,
und mit dem gleichen Papier ist auch das Segment zwischen
ihnen ausgefüllt. Auf diesem papiernen Hintergründe heben
sich zwei ganz roh geschnitzte, wie es scheint, menschliche
Gestalten ab, die in den unteren Stab eingelassen sind.
Dieses Bildwerk, welches übrigens auch bei den Verwandten
der Golden, den Orokos auf Sachalin, üblich ist, wird in
der Ambara aufgehängt, ähnlich wie man in meiner alt
märkischen Heimath die bei den sogenannten Sympathiekuren
gebrauchten Hilfsmittel wohl in dem Schornstein des Hauses
zu verbergen pflegt.
Für den Fall, daß die bisher erörterten Heilmethoden
ihre Wirkung verfehlen, steht dem Schamanen noch eine
andere zu Gebote. Er läßt durch einen seiner ihm unter
gebenen Geister den Teufel, welcher die Krankheit erzeugt
haben soll, herbeiholen und vernichtet ihn dann. Das ge
schieht natürlich am radikalsten dadurch, daß er ihn tobtet 2 ).
Eine solche Heilung erlebte der Reisende selbst in dem oben
schon genannten Dorfe Chungar im September 1884. Als
er das Dorf am Abend durchschritt, fiel plötzlich in einer
Hütte derselben ein Schuß, und er erfuhr auf feine Er
kundigung hin, daß dort eine todtkranke Frau liege, bei
welcher sich ein Schamane befinde. Dieser hatte, als alle
anderen von ihm angewandten Heilmittel unwirksam ge
blieben waren, dem Manne der Kranken befohlen, den bösen
Geist, welcher die Krankheit erzeugt haben und in einer Ecke
der Hütte sitzen sollte, zu erschießen. Der Mann hatte
diesen Befehl wirklich erfüllt; ob das Mittel aber von Er
folg gewesen ist, konnte Jakobsen leider nicht mehr fest
stellen, da er schon am nächsten Tage in aller Frühe wieder
aufbrechen mußte. Wenn übrigens auch dieses letzte Mittel
der Schamanen unwirksam bleibt, so geben sie den Kranken
auf, indem sie sich und andere damit trösten, daß die Gott
heit das Verderben des betreffenden Menschen unabänderlich
beschlossen habe. Zur Herbeischafsung der bösen Geister
dienen dem Schamanen besondere Götzenbilder, die man
vielleicht am besten als Schamanengötzen bezeichnet.
Sie erscheinen bisweilen als Thiergestalten, z. B. als
Bären, meist aber stellen sie Menschen dar. Wie dem
Reisenden mitgetheilt wurde, sieht der Schamane in
diesen Bildern die Geister seiner verstorbenen
Amtsvorgänger, und vielleicht aus Achtung vor ihrer
Würde stattet er sie etwas besser aus, als die gewöhnlich in
den Häusern der Golden befindlichen Idole. Zwar die
Schnitzerei ist nicht vollendeter als diejenige der anderen
Götzenbilder, dagegen werden die Augen durch Kupfernägel
oder blaue Glasperlen gebildet und der Rumpf mit einem
Fellkleide überzogen. Von einem solchen Götzen, den
Jakobsen im Ussnri gebiete nur mit großer Mühe erlangen
konnte, behauptete sein Besitzer, daß er selbst bei den be
denklichsten Krankheitsfällen, wo alle übrigen Götzen macht
los geblieben wären, noch zu helfen im Stande sei, indem
er ihm, dem Schamanen, immer neue Rathschläge ins Ohr
flüstere.
x ) Dieselbe Bedeutung hat wahrscheinlich auch ein anderes
hölzernes Frauenbild, aus dessen Vorderseite in der Bauchgegend
ein Reliesbild angebracht ist, welches einen kleinen Menschen
darstellen soll.
2 ) Vergl. des Verfassers Aufsatz in Nr. 1 des laufenden
Bandes dieser Zeitschrift, S. 14.