GLOBUS .
ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER - und VÖLKERKUNDE .
VEREINIGT MIT DEN ZEITSCHRIFTEN : „ DAS AUSLAND“ UND „ AUS ALLEN WELTTEILEN“ .
HERAUSGEGEBEN VON H . SINGER UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON Prof . Dr . RICHARD ANDREE .
VERLAG von FRIEDR . VIEWEG & SOHN .
Bd . LXXXIII . Nr . 21 . BRAUNSCHWEIG . 4 . Juni 1903 .
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit der Verlagshandlung gestattet .
Die Herkunft der Moriori .
Von f Dr . Heinrich S c h u r t zJ ) .
Wie sich der gesamte Kulturfortschritt der heit nicht in gleichmäisigem , ruhigem Strome fortbewegt , sondern einseitig erst eine Entwickelungsmöglichkeit bis zum äufsersten verfolgt , um sich dann mit gleichem Eifer dem entgegengesetzten Extrem zuzuwenden , so schwanken auch in der Wissenschaft beständig die sichten über den Weg der Forschung und über den V ert der verschiedenen Mittel der Erkenntnis . Immer wird es dabei die Aufgabe reiferer Erfahrung sein , mählich die allzu schroffen Gegensätze auszugleichen und zu versöhnen , statt blindlings einer einzigen schungsweise zu folgen . Je mehr keiten vorhanden sind und nutzbar gemacht werden , desto sicherer schreitet die Wissenschaft voran . Ganz freilich wird es wohl niemals zu vermeiden sein , dafs manches Gute , das einst überschätzt worden ist , später als wertlos mifsachtet wird , um oft nach einem maligen Wechsel der Anschauungen wieder zu Ehren zu kommen und seinen angemessenen Platz im schaftlichen System zu finden .
Ein Wandel dieser Art vollzieht sich neuerdings in der Bewertung sagenhafter Berichte über die Vorzeit der verschiedenen Völker . Es gab eine Zeit , wo man diese Ursprungssagen kritiklos als wahr hinnahm und sie als brauchbaren Unterbau der beglaubigten schichte betrachtete , oder wo man sie wenigstens in mangelung von Besserem einfach auf sich beruhen liefs . Nach und nach aber erschienen immer zahlreicher die Götter - , Helden - und Herkunftssagen in einem ganz neuen Lichte : Sie erwiesen sich als Bestandteile der thologie , als ideale Darstellungen der Naturkräfte , der lages - und Jahreszeit und aller ewig wiederkehrenden Vorgänge im Dasein des Menschen . Auch die lungen vom Aufenthalt der Verstorbenen waren auf die Vergangenheit übertragen worden , so dafs Ende und Anfang des Daseins sich in rein mythischer Meise vei - knüpften . So löste sich der anscheinend so feste grund des Baues der Geschichte in buntschillernde Nebel auf , aus denen sich wohl Wundergestalten der Dichtung formen liefsen , denen aber jeder feste Kern historischer
M ahrheit zu fehlen schien .
Bis aufs äufserste ist dieser Gedanke durchgefühlt und wissenschaftlich begründet worden nun beginnt ein Umschlag fühlbar zu werden . Die bessere Eifor -
' ) Der vorliegende interessante kleine Aufsatz wurde uns Schurtz kurze Zeit vor seinem Tode zugesandt und ört wohl zu den letzten Arbeiten des leider zu früh storbeuen . Red . d . Globus .
Globus LXXXIII . Nr . 21 .
schung der Vergangenheit , wie sie vor allem der storie zu verdanken ist , hat uns belehrt , dafs manche scheinbar aus mythischem Phantasiegewölk geformte Gestalt doch nicht so ganz ins Reich der Erdichtungen verwiesen werden darf . Wie schienen z . B . die sagen lange Zeit so völlig als Schöpfungen mythischer und manistischer Gedankenkreise erkannt zu sein ! Teils als personifizierte Urkräfte der Erde erschienen die Zwerge , teils als Seelen Verstorbener , die als winzige lichtscheue Heinzelmännchen noch die häusliche Arbeit verrichteten oder in Gestalt boshafter Kobolde die den Erben neckten oder endlich scharenweise nachts über den Flufs setzten und die Totenmünzen als Lohn zurückliefsen . Zweifellos werden viele dieser Deutungen auch in Zukunft bestehen bleiben . Aber Schlag auf Schlag haben neuere Forschungen gezeigt , dafs den Zwergsagen dennoch etwas sehr Wirkliches zu Grunde liegt , dafs es in Europa und wahrscheinlich auch in asien echte Zwerge gegeben hat und im Innern Afrikas heute noch giebt . Damit nun gewinnt die ganze gruppe auch wieder geschichtliche Bedeutung . Und wie in diesem Falle , so neigt sich in vielen anderen im Kampfe um die Deutung der Sieg wieder mehr auf die Seite jener , die in den Sagen lieber Erinnerungen an thatsächliche Zustände und Ereignisse als rein mythische Schaumgebilde sehen wollen ; manches , was schon so gut wie ganz in das Reich der wesenlosen Mythologie verwiesen schien , wie der trojanische Krieg oder die Reihe altrömischer Könige , gewinnt wieder an Festigkeit , und unter den sagenhaften Hüllen erscheinen deutlich die Umrisse wirklichen Geschehens .
I11 der Zeit , als die mythologischen Erklärungen blühten , mochten auch die Berichte über frühere farbige Bewohner , die bei manchen Völkern überliefert werden , als rein sagenhaft gelten : sind doch in der That die im nächtlichen Dunkel wohnenden Geister der Toten wie auch die Götter der Erde , der Nacht und der Unterwelt gern als düstere Erscheinungen gedacht worden , die sich recht wohl allmählich zu negerhaften Urbewohnern eines Landes umdeuten liefsen . Jetzt wird man wohl thun , diese Sagen ernster zu nehmen und sie mit den Mitteln , die Anthropologie und kunde an die Hand geben , auf ihre geschichtliche Wahrheit zu prüfen ; vor allem wird das dort nötig sein , wo die Möglichkeit einer älteren negerähnlichen völkerung nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist , wie im Gebiete der malayo - polynesischen Rasse . Eine nähere Untersuchung ist hier nur auf zwei Wegen möo - -
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