J. Heierli: Die ältesten Gräber in der Schweiz.
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Mahle könnten der Hund und die Sklaven des Herrn
getötet worden sein. Leider sind derartige Funde aus
der Steinzeit noch zu wenig zahlreich, um sichere
Schlüsse zu gestatten. Es mufs vorläufig genügen, jene
Fragen aufgeworfen zu haben.
Schon bei der Betrachtung der Funde vom Schweizers
bild bei Schaffhausen fällt uns auf, dafs daselbst auch
eine sehr grofse Zahl von Gräbern entdeckt wurde, die
aber jünger sind, als die Objekte der gelben Kulturschicht.
Im ganzen konnten 26 Bestattete nachgewiesen werden.
Sie lagen in 22 Gräbern und sind unter sich selbst
wieder verschiedenen Alters. Die ältesten gehören der
neolithischen Steinzeit an, andere sind jünger. Auf
fallend ist die grofse Zahl an Kindergräbern. Unter
den 26 bestatteten Personen waren nicht weniger als
zwölf Kinder unter sieben Jahren. Diejenigen Gräber,
welche mit Beigaben versehen waren, die das neolithische
Alter derselben aufser Zweifel setzen, waren ausnahms
los Kindergräber. Das erste derselben lag in etwa 1 m
Tiefe und gehörte einem Neugeborenen, das mit einer
Serpulaschnur um den Hals geschmückt worden war.
Das zweite Grab gehörte einem Kinde von etwa zwei
Jahren und enthielt ebenfalls ein Halsband von Serpula-
perlen. Ein drittes Grab, das ungefähr in derselben
Tiefe lag, wie die beiden anderen, enthielt gleichfalls
Serpularinge. Die Skeletteile lagen auf grofsen Steinen,
sind aber nur teilweise gehoben worden. Sie gehörten
einem 5- bis 6 jährigen Kinde. Tiefer lag ein Kinder
skelett mit 21 Serpularingen und Silexgeräten als Bei
gaben. Ein fünftes Grab befand sich in 1 m Tiefe und
enthielt das Skelett eines Kindes und bei demselben
Serpularinge und Werkzeuge von Silex.
Das wichtigste dieser Kindergräber fand sich in
1,5 m Tiefe auf einer schüsselförmigen Unterlage von
Rollsteinen. Die Grabbeigaben bestanden in Silex
objekten und einer Raubtierkralle. Interessant war die
Lage der Knochen. Das Kind lag da, als ob es
schlummere. Die Arme und Füfse waren in die Höhe
gezogen, so dafs eine Stellung erreicht wurde, die man
als Hockerstellung bezeichnet. Hockergräber sind auch
anderwärts gefunden worden, ja sie sind in den neo
lithischen Gräberfeldern Europas sehr häufig. Wir
werden gleich nachher sehen, dafs die „Hockergräber“
auch in der Schweiz mehrfach konstatiert worden sind.
Prof. Kollmann in Basel hat die Skelettreste von
Schweizersbild untersucht und ist zu der Überzeugung
gekommen, dafs daselbst neben einer hochgewachsenen
Menschenvarietät auch eine sehr kleine, pygmäenhafte,
begraben liege, die aber nichts Krankhaftes an sich
trage, also nicht mit Zwergen identisch sei. Da fand
sich z. B. ein 16 bis 18 Jahre altes Mädchen von
ca. 1,22 m Höhe. Eine 30jährige Frau mag etwa 1,35m
hoch gewesen sein und ein Mann (?) von etwa 40 Jahren
hatte eine Höhe von ungefähr 1,45 m.
Beim weiteren Verfolgen seiner Entdeckung von
Pygmäen in Skelettfunden, die wahrscheinlich der neo
lithischen Zeit zugeschrieben werden können, kam Koll
mann zu dem Schlüsse, dafs jetzt noch alle Erdteile
neben hochgewachsenen Menschen auch Pygmäen auf
weisen und dafs letztere wohl die ältei’e, früheren Epochen
angehörende Form des Menschengeschlechtes repräsen
tiere, also die Vorläufer der hochgewachsenen Varietät
der Menschheit bilde.
2. Hockergräber. Versetzen wir uns im Geiste
an die sonnigen Gestade des Lemansees. Da ist
besonders das Nordufer mit herrlich gelegenen Dörfern
und Städten geschmückt. Von Süden schauen die
eisigen Firnen der Alpen herein, während am See selbst
die Traube reift und ein mildes Klima an südlichere
Gegenden gemahnt. In diesem schönen Gelände haben
sich schon in der Urzeit zahlreiche Ansiedler nieder
gelassen, so dafs gegen 50 Pfahlbaustationen mehr oder
weniger gut untersucht werden konnten. Wo aber
liegen die Gräber dieser Bewohner?
Man hat am Genfersee Grabfunde aus sehr ver
schiedenen Zeiten kennen gelernt. Zur Steinzeit wurden
die Toten in kleinen, kistenartigen Särgen in die Erde
gelegt. Solche Kistengräber fanden sich besonders in
der Gegend von Pully und Lutry. Beim Fundamen
tieren eines Hauses in Chamblandes, Gemeinde Pully,
stiefs man in etwa 2 m Tiefe auf fünf Grabkisten. Jede
derselben bestand aus vier rohen Steinplatten, welche
die Seitenwände bildeten, während eine fünfte als Deckel
diente. Die ersten Gräber wurden von Arbeitern
geöffnet; erst die fünfte konnte wissenschaftlich unter
sucht werden. Sie enthielt das Skelett einer alten Frau,
deren Gesicht gegen die Erde gekehrt war. Zu den
Seiten des Gerippes wurden gespaltene, an beiden Enden
durchbohrte Eberzahnlamellen aufgefunden. Auch in
den vier anderen Kisten waren diese Schmuckstücke
in grofser Menge zum Vorschein gekommen. Das
fünfte Grab enthielt aufserdem noch eine durchbohrte
Meermuschel, wie sie als Halsschmuck, als Amulet,
getragen worden sein mochte.
Im Jahre 1881 konnte die Untersuchung des Gräber
feldes weiter geführt werden, und wieder wurden solche
Kisten aus bearbeiteten Steinplatten, versehen mit einem
Deckelstein, aufgefunden. Alle Gräber lagen in Ost-
West-Richtung; alle waren etwa 1 m lang, 50 cm breit und
tief. Allerdings stiefs Morel -Fatio auch auf kleinere
Kisten (eine derselben hatte eine Seitenlänge von nur
34 cm), aber es fand sich in derselben nur Erde, nie
Knochen. Die meisten Grabkisten enthalten ein Skelett;
es giebt aber solche, die deren zwei bis fünf enthalten,
ohne dafs deswegen die Dimensionen der Kiste sich
ändern würden. Finden sich ein oder zwei Skelette in
einem Grabe, so liegt immer der Kopf im Osten. Ein
Grab mit vier Skeletten aber ergab, dafs die Schädel in
den vier Ecken der Kiste gelegen hatten. Die übrigen
Knochen waren hauptsächlich in der Mitte unordentlich
aufgehäuft und gehörte der ganze Inhalt jungen Indi
viduen, was aus den dünnen Schädelwandungen erhellte.
In einem Grabe, das zwei Leichen barg, schienen sich die
Toten zu betrachten. Die Wirbel befanden sich längs den
Seitenwänden, die Bein- und Armknochen lagen über
einander, so dafs also die Toten ihre Beine gegen den
Oberkörper eingeknickt hatten. Zu Seiten des links
liegenden Skelettes sammelte man in der Höhe der Brust
etwa 40 durchbohrte Eberzahnlamellen, die in zwei Reihen
lagen. Alle waren an den beiden Enden durchbohrt.
Auch gelber oder roter Ocker, sowie durchbohrte
Muscheln kamen zum Vorschein und endlich ein Klumpen
einer Art Fett, der beim Verbrennen einen starken
Rauch entwickelte. Mehrere Gräber enthielten nur
Knochen. Nachher wurde eine Kiste aufgedeckt, in
welche keine Erde eingedrungen war, da der Deckel
sehr gut schlofs. In diesem Grabe ruhte ein etwa
20jähriger Mensch, dessen Gebeine noch ganz erhalten
waren. Der Schädel neigte sich etwas nach links, die
Wirbel befanden sich längs der Nordplatte, die Beine
waren gegen die Brust gezogen und eingeknickt. In
der Gegend des Halses fand man fünf doppelt durch
bohrte Mittelmeermuscheln; vor dem Kopfe lagen vier
Stücke roten und gelben Ockers und zwei Fragmente
von Menschenschädeln, welche Spuren von Bearbeitung
zeigten. Zerstreut im Grabe wurden kleine Perlen aus
Korallen oder Bernstein gefunden.