Volltext: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 22.1912

Kleine Mitteilungen . 
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aber vor den ihr nacheilenden Flammen hatte sie sich nicht schnell genug retten können , und so hatten ihre Kleider Feuer gefasst . Die Bauern erstickten die Flammen zwar , indem sie die Frau mit Wasser begossen , doch hatte sie zahlreiche Brandwunden davongetragen . Allmählich heilten diese Wunden , und nur die rechte Hand , mit welcher die Frau das Kreuzeszeichen gegen das Feuer gemacht hatte , wollte durchaus nicht heilen . Das arme Weib hatte mehrere Jahre durch furchtbar zu leiden . An jedem Jahrestage des Feuers aber wurden die Schmerzen noch schrecklicher , und im dunkeln Zimmer leuchtete die Hand so schauerlich , wie alte Weiden in der Nacht ein gespensterhaftes Licht verbreiten . Die Frau bat Gott täglich auf ihren Knien , er möge ihr doch helfen . 
Einmal nun , in der Nacht vom Gründonnerstag zum Karfreitag , erschien ihr ein Engel im Traum und sagte : „ Willst du gesund werden , so kannst du es nur jetzt . Geh am Karfreitag frühmorgens vor Sonnenaufgang hinaus nach dem Hain der Schulzenwiese , wo das Bild des gekreuzigten Heilands steht . Dort nimm von den Gänseblümchen den frischen Tau und träufle ihn auf die wunde Hand ; mache dann mit der linken Hand ein Kreuz darüber und knie vor dem Bilde nieder . Dann stehe auf und wandle dreimal um das Bild des Heilands herum ; dabei sollst du jedesmal folgenden Spruch beten : 
Im Namen des Vaters , des Sohnes und Der Tau ist bald verschwunden , 
des h . Geistes ! Die Hand muss drum gesunden . 
Icli geh vor Sonnenstund' Im Namen des Vaters , des Sohnes und Ums Kreuz für meine Wund' . des h . tieistes . 
Dies tue dreimal , am Karfreitag , am stillen Sonnabend und am Ostermorgen . Umsehen aber darfst du dich auf dem Hin - und Rückwege nicht , darfst auch sonst kein Wort weiter sprechen . " Nachdem der Engel das gesagt hatte , schwand er . Die Frau aber tat , wie ihr befohlen war , und siehe da , am sonntag ward ihre Hand ganz gesund . 
5 . Tauauge1 ) . 
Ein armer junger Bauer hatte in einem kleinen Dorfe eine Wirtschaft gekauft und sich dort verheiratet . Das Glück war ihm hold , und sein Wohlstand wuchs von Jahr zu Jahr . Zu seiner vollen Zufriedenheit fehlte ihm nur eins , ein Kind . Aber so sehr er auch Gott darum bat , er bekam keins . Da geschah es , dass in einer Gewitternacht ein altes Weib zu ihm kam und um ein Obdach bat . Er hatte Mitleid mit der Alten und nahm sie in seine Stube . Sie sprachen von diesem und jenem , und dabei fragte die Frau denn auch , ob er keine Kinder habe . Der klagte er dann sein Leid , und die Alte versprach , ihm zu einem Kinde zu helfen ; er solle nur der Kirche alle Tage ein Licht spenden , bis ein Jahr gangen sei , dann werde Gott seine Bitte erhören . So geschah es auch , und nach einem Jahr schenkte Gott den Bauersleuten ein Mägdlein , das nannten sie Rosa - °ko , d . i . Tauauge . Sie erlebten an dem Kinde viele Freude , denn es war schön und hatte so liebliche Augen . Als es aber älter wurde und zu gehen anfing , . ^underten sie sich , dass es immer mit den Händchen umhertastete und sich nur zaghaft bewegte . Der Bauer machte andre darauf aufmerksam , und jetzt erst Merkte man , dass das schöne Kind blind war . 
Je mehr das Mädchen heranwuchs , desto schöner wurde es , und man konnte den lebhaften Augen durchaus nicht ansehen , dass sie blind waren . Und noch etwas Wunderbares war an den Augen zu bemerken : sie konnten nicht weinen ; 
1 ) Erzählt von einem polnischen Arbeiter in Rogasen . Tau , der auf die Rosen ge - ''ilen ist , vertreibt Entzündung der Augen , s . P . Drechsler , Sitte in Schlesien 2 , 29 * 2 .
	        
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