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Meyer :
Der Yater schickt ihn gern in " Werkstätten . Die Lektüre bringt mancherlei heran , was dies Interesse nähren und befriedigen kann .
Dennoch werden wir schwerlich annehmen dürfen , dass das Kind wirklich dies alles so beobachtet habe , wie der Leser der ersten Bücher von Dichtung und Wahrheit etwa meinen könnte . Unvermerkt senkt sich Bild an Bild in die aufmerkende Seele , die es mit solcher Treue bewahrt , dass geringe Nachhilfe dem Sechszigjährigen das anschaulichste Bild schen Lebens und Treibens möglich macht . Sein bewusstes Aufmerken aber muss früh auf die tv p i s eli e n Züge im Gegensatz zu den individuellen gegangen sein . Denn als er später für die Zeichnung des Bürgertums im „ Faust " unzweifelhaft Frankfurter Züge mitverwandte , da drängte sich nirgends ein specifisches Moment in dies allgemein charakterisierende mälde . Um ein beliebiges Gegenstück zu wählen : Goethes Leipziger Gedicht „ Kinderverstand " geht ebenfalls auf typische Charakteristik aus ; dennoch drängt sich ein ganz individueller Zug herein :
Oft stossen schäckernd Bräute
Den Bräutgam in die Seite — ( Der junge Goethe 1 , 102 ) .
Offenbar hat der Leipziger Student diesen Einzelzug einmal bei einem Bauernfest beobachtet und er hat sich ihm so eingeprägt , class er ihn wiederholt verwandt hat , auch gerade im Faust :
Er drückte hastig sich heran ,
Da stiess er an ein Mädchen an Mit seinem Ellenbogen — ( Paust Y . 957 ff . ) .
Die cyklopischen Freundlichkeiten und die zu weiterer Vertraulichkeit aufmunternden Ungeschicklichkeiten der Bauernjugend bringt er in sein typisierendes Gemälde herein ; aber nichts , was in der Schilderung des Bürgers auf specielle Erfahrung und Beobachtung deutete . Alles bleibt hier typisch : der Frankfurter hat nur den deutschen Bürger geschildert . Das Gleiche gilt , wie wir noch sehen werden , für „ Herrmann und Dorothea " . Auch ist es natürlich genug . Der Bauer war dem Städter merkwürdig gerade in seinen Eigenheiten ; in dem Element , in dem er lebt , studiert er zunächst das Allgemeine .
Strassburg , hat Varren trapp kürzlich auf dem Strass barker Historikertag ausgerufen , öffnet dem jungen Goethe die Augen für dit1 Geschichte . Zwar ist das vielleicht zu viel gesagt . Denn trotz allem , was Ottokar Lorenz und andere behaupten , möchte ich doch glauben , zu der Geschichte im eigentlichen Sinne habe G . nie ein rechtes \ erhältnis gewonnen . Nicht bloss die Kirchengeschichte war ihm „ Mischmasch von Unsinn und Gewalt " ; im Grunde ist er zeitlebens zu sehr Schüler Voltaires geblieben , um in der Weltgeschichte überhaupt viel anderes zu sehen . Jene unendliche Freude an allem Lebendigen , die ihn beseelte , wo er die „ Natur " beschaute , versagte gar zu leicht , wenn er in die „ Geschichte " blickte . So eifrig er sich auch mit der Geschichte der Künste , der Wissen -