Beurteilung .
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licher Weltordnung zu erweisen ? Füllt die Freude über die seit Jahrhunderten ersehnte nationale Wiedergeburt nicht . jeden Einzelnen so sehr mit dem Selbstgefühl der Ehre und der Gewissheit des Sieges der Sittlichkeit , dass damit auch die Gewissheit sittlicher Weltordnung allverbreitet lebt ? Leider nein ! Nur wie ein Traum lebt jene begeisterte Stimmung noch in der Erinnerung . Das Gesetz der Beharrung , das in der physischen Welt unwandelbar gilt , zeigt auch hier wieder seine Macht für das psychische Leben . Das deutsche Volk , zu lange gewohnt der Zerklüftung in Kleinstaaterei , vermochte noch nicht sich dieser Gewohnheit zu entziehen und ersetzte die Schlagbäume politisch kleinstaatlicher Grenzgebiete durch die Schlagwörter politischer Parteien und Parteichen . Nicht von Pflichten , nur von Rechten ist die Rede . Dass jenseits der Partei ein Volksganzes stehe , dem zu dienen sei , dass jenseits der Völker und Nationen ein ewiges , unsichtbares Gut stehe , mit dem in Uebereinstimmung oder nach dessen Ebenbildlichkeit die unendlich verschieden individualisirten Menschen leben und wirken sollten : das ist vergessen . Nur von Wahrung der Interessen des Einzelnen oder der Partei ist die Rede , und das nennt man denn die Verwirklichung der eignen Vernunft und Freiheit . Und wenn dann jemand , unbeirrt von dem Rufe : die Religion ist ein Zeichen der Schwachheit , doch es unternimmt das einzelne Ich in ziehung zum Unendlichen zu denken , so herscht die Regel , dass er festhaltend seinen individuellen Unmut zu dem mistischen Schluss kommt : dass Alles was entsteht auch wert ist , dass es zu Gründe geht ; dass das Nichtexistirende das Beste sei von Allem .
Diesem engsinnigen Parteileben , dieser selbstsüchtigen Verkehrung von Vernunft und Freiheit durch die Einzelnen , diesem Pessimismus gegenüber , hat Carriere's Begründung sittlicher Weltordnung gerade in unseren Tagen noch größere
Bedeutung als damals , wo er den Grund zu seinem Buche legte . Indem wir daher um so lieber auf dies Buch weisen wollen , so freut es uns ruhm - rednerische Empfehlung vermeiden zu können , da der Verfasser selbst durch seine
Zeitschv . für Völkerpsych . und Sprachw . Bd . XI . l . r