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Der Herbst.
In der Anschauung des Volkes laufen diese verschiedenen
herbste ineinander: bald wird der September der erste und
der Oktober der andere Herbst genannt, bald schon der Ge—
treideerntemonat als erster Herbst betrachtet. Man merkt
aber, daß das Getreide nur nachträglich und so nebenbei mit—
zählte; Herbst im engeren Sinne war nicht die Halmfrucht,
sondern die Baumfrucht und der Ertrag des Weinstocks. haben
die Moselbauern dies Jahr guten Herbst gemacht?
Ist es ein ganzer Hherbst gewesen? — Daraus erklärt
sich auch die sonderbare Behauptung des Tacitus, daß die
Germanen keinen hHerbst hätten: Autumni perinde nomen
ac bona ignorantur. Der lateinische Autumnus, dieses alte
Partizipium Medii, bedeutete nämlich ebenfalls in erster Linie
die Zeit der Wein- und der Obsternte. Von der hatten die
Hermanen des Tacitus freilich noch keine rechte Ahnung, aber
bickerbau ward überall getrieben und der Pflug längst gebraucht.
ODdin war Erntegott; ihm wurde im Herbst ein Herbstdankfest
gefeiert.
Übrigens unterscheidet auch Homer den Herbst noch nicht
genau vom Sommer; seine Opora ist die Obstzeit, die mit
dem hochsommer zusammenfällt. Sie heißt Ops im Lateinischen
und im Deutschen Obst; denn Obst ist ein CLehnwort und aus
Ops entstanden, wie Frucht aus Fructus. Die Römer gaben
dem Saturn die Ops zur Gattin. Das heißt, sie stellten die
Hetreideernte und die Obsternte, den ersten und den anderen
herbst, zusammen.
2. Laubfärbung und Laubfall.
Ein alter im Bayurischen und Osterreichischen noch lebendiger
Name des Oktobers und des Herbstes war: die Laubreis.
Gemeint ist der jährliche Laubfall, dieses Bild der Vergänglich—
keit, das schon Hhomer anwendet. Die Blätter der sommer—
grünen Gehölze reisen, will sagen: sie fallen ab; reisen be—