Was wir sehen
Die Ausstellung What We See setzt sich mit einem »Archiv aussterbender
Rassen« auseinander, das 1931 vom deutschen Künstler Hans Lichtenecker
1891-1988) im damaligen Südwestafrika, heutigen Namibia, angelegt wur-
de. Es ist der Kulturwissenschaftlerin und Afrikanistin Anette Hoffmann
zu verdanken, dass die in deutschen und namibischen Archiven verstreute
Sammlung von anthropometrischen Fotografien, Abmessungen, Abgüssen
von Schädeln, Händen und Torsi (Nationalmuseum, Windhoek), dem Tage-
buch des selbsternannten Forschers (Scientific Society, Windhoek) sowie von
Tonaufnahmen (Phonogrammarchiv Berlin) erstmals als Ensemble kritisch
reflektiert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Ziel der Ausstellung
war es, ein bisher weitgehend vernachlässigtes Kapitel in der Geschichte
der Ethnographie, nämlich die Verschränkung von physischer Anthropolo-
gie, Ethnologie und Kolonialismus, aufzuarbeiten und sowohl historische
als auch rezente Modi der Wahrnehmung und Repräsentation Anderer zu
ninterfragen (Hoffmann 2009a). Ihre Wirkmächtigkeit schöpfte die Ausstel-
lung vor allem aus den Phonogrammaufnahmen, auf denen Otjiherero- und
Khoekhoegowab-Sprecher_innen über das anthropometrische Projekt, dem
sie unterworfen wurden, sprechen und harsche Kritik daran üben. Die Offen-
heit, mit der die NamibierInnen auch über ihre kolonialen Lebensumstände
berichten oder Grüße nach Deutschland schicken, ist Lichteneckers mangeln-
den Sprachkenntnissen zu schulden und erlaubt bisher unbekannte Einblicke
'n die Gedanken- und Gefühlswelt von AfrikanerInnen im Kontext kolonialer
Forschungspraktiken.
»To my knowledge these are the only known recordings on which
Africans comment on the attempts to objectify them as examples of
Tace«. What people have to say on these recordings represent them as
people, with names, families, lives, histories, worries and wishes - like
anybody else - and not as exotic examples of the »strange races« they
were supposed to represent in Lichtenecker’s archive.« (Hoffmann
2009a, 7)
Jber einen langwierigen Digitalisierungs-, Transkriptions-, Übersetzungs- und
Interpretationsprozess gelang es Hoffmann, in Zusammenarbeit mit lokalen
Historikern und Linguisten die namibischen Stimmen zu rehabilitieren und
gemäß Spivak (2006) hörbar zu machen. Dass Hoffmann diese Übersetzungs-
schritte als kritische Analyse ihrer Verstehensbedingungen im Einführungstext
der Ausstellung offenlegt und sich selbst innerhalb der Ausstellung als Autorin
und Kuratorin positioniert, macht eine der vielen postkolonialen Qualitäten
von What We See aus.