anthropometrischen Projekt, d.h. der Vermessung, Abformung und rassisti-
schen Kategorisierung von Namibier_innen, verstörende Denkanstöße zur
Geschichte der Anthropologie und des kolonialen Kontaktes bereit. Dass das
multisensorische Deutungsangebot der Ausstellung von Besucher_innen in
Kapstadt, Basel, Wien, Osnabrück, Berlin und Windhoek divergent rezipiert
wurde, ist u.a. den spezifischen Lokalgeschichten der Ausstellungskontexte
und dem damit verbundenen Grad der Aufarbeitung kolonialer Ausstellungs-
traditionen geschuldet. Während Museen im südlichen Afrika seit den 1990er
Jahren als wichtiges Instrument der Aufarbeitung der Kolonial- und Apartheid-
Vergangenheit angesehen werden und aktiv zur umkämpften Neuformierung
nationaler und lokaler Identitäten beitragen (Coomes 2010), hat die kritische
Auseinandersetzung mit der eigenen Institutionsgeschichte in europäischen
Museen erst schleppend Fuß gefasst. Generell hat die sogenannte Krise der
Repräsentation in der Kultur- und Sozialanthropologie erst verspätet in eth-
nographischen Museen Einzug gehalten (Jones 1993). Postkoloniale Theorien
zur Verschränkung von materieller und diskursiver Macht (Gutierrez Rodriguez
2003) haben wesentlich dazu beigetragen, das Museum als Teil des modernisti-
schen »exhibitionary complex« (Bennett 2006) zu dekonstruieren. Man kam zur
Einsicht, dass das modernistische Museum qua der Dialektik der Aufklärung
sowohl Einschlüsse - zur Konsolidierung des sich etablierenden Bürgertums im
19. Jahrhundert - als auch Ausschlüsse und Abgrenzungen - zu Frauen, sozial
Schwachen und durch Kolonialisierung marginalisierten Menschen - produ-
zierte. Das Hinterfragen eurozentrischer und paternalistischer Forschungs-
und Repräsentationspraktiken hat in der Folge unterschiedlichste Ausstellungs-
strategien hervorgebracht, die von der Neukategorisierung außereuropäischer
materieller Kultur als »Kunst« (Paris Primitive, Price 2007) über die oftmals
punktuelle kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Institutions-, Wis-
senschafts- und Sammlungsgeschichte (ExitCongoMuseum, Wastiau 2000) bis
hin zu geniun partizipativen Museumskonzepten (The National Museum of the
American Indian, Lonetree/Cobb 2008) reichen. Auch die Rolle von Museen
als wichtigem Massenmedium für die Kolonialbestrebungen Europas wurde in
ehemaligen imperialen Zentren wie Paris (L’Invention du Sauvage, Blanchard
2011) zur Diskussion gestellt. Im deutschsprachigen Raum setzte sich die Aus-
stellung Namibia - Deutschland (Förster u.a. 2004) mit dem schwierigen Erbe
des deutschen Kolonialismus auseinander. Der tiefgehenden Reflexion kolo-
nialer Forschungs- und Sammlungspraktiken und ihrer Spuren in der Gegen-
wart fehlte jedoch zumeist eine zentrale Perspektive des kolonialen Kontaktes:
die Stimmen der Beforschten. Die Ausstellung What We See (Hoffmann 2009)
liefert einen signifikanten Beitrag, um diese Lücke in emblematisch postkolo-
3ialer Art und Weise zu schließen. Ihre ästhetischen und diskursiven Strategi-
en sowie deren kontextspezifische Adaption und Rezeption sind Gegenstand
dieses Artikels.
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