via Kino, Käsetheke und Musikhören zuneh-
mend Eingang in unser aller Biographie finde:
„Ohne daß dies gewußt oder gewollt würde,
gilt mehr und mehr: Wir alle leben glokal.“ Spä-
ter schränkt er ein, daß nicht jede Mehrörtigkeit
‘Globalisierung der Biographie’ heißen soll,
sondern nur die, „(...) welche Grenzen getrenn-
;er Welten - zwischen Nationen, Religionen,
Kulturen, Hautfarben, Kontinenten usw. -
iberschreitet und deren Gegensätze in einem
Leben beherbergen muß oder darf.“ Insofern
scheint dieser Begriff, trotz aller Unschärfe, mit
der Lebensgeschichte meines Interviewpartners
>»twas zu tun zu haben. Angemerkt sei hier le-
diglich, daß es sich hierbei keineswegs um et-
was so ‘Neues’ handelt, wie Beck suggeriert.
Vielmehr ist die ‘Globalisierung der Biographi-
en’ seiner Eltern gewissermaßen die Vorausset-
zung für Alex’ Existenz.
Die Familie vollzieht hier einen radikalen
Bruch mit einer eher kollektivistischen, an der
Großfamilie orientierten Lebensweise hin zu
einem Leben in der Kleinfamilie. In Alex Erin-
nerung verbindet sich dieser Bruch auch mit ei-
ner entscheidenden Veränderung seiner Selbst-
wahrnehmung.
Die einzige Freundin, an die er sich erinnert,
war „(...) ‘ne jugoslawische, keine deutsche
Freundin, die wurde auch immer veräppelt und
wir waren praktisch die beiden Außenseiter.“
Das Arrangement mit häufig wechselnden
Wohnorten, Arbeitsplätzen und Teilen der So-
zialbeziehungen kann als typisch für individua-
lisiertes Leben im Sinne Ulrich Becks gesehen
werden. Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft.
Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frank-
Furt/M, 1986.
Dies stützt die These Appadurais, nach der sich
‚relativ stabile Gemeinschaften aufgrund der
Geburt, des Wohnortes oder anderer Arten von
Verbundenheit“ nicht etwa grundsätzlich auf-
Ösen würden, sondern „daß solche Gemein-
schaftsnetze überall von den Wanderungsbewe-
gungen der Menschen geprägt sind.“ Appa-
durai, Arjun: Globale ethnische Räume. Bemer-
kungen und Fragen zur Entwicklung einer
transnationalen Anthropologie. In: Perspekti-
ven der Weltgesellschaft hrsg. v, Ulrich Beck,
Frankfurt/M. 1998, S. 11-40, hier S. 12. Das
1eißt hier, daß zum einen der Kontakt zur Fa-
milie in erster Linie mit Hilfe moderner Kom-
munikationstechniken aufrecht erhalten wird,
zum anderen dieser Kontakt aber ein sehr in-
'ensiver zu sein scheint und Alex ihm einen
ıusgesprochen hohen Stellenwert in seinem
Leben beimißt.
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” Olivers Mutter ist Deutsche, sein Vater US-
Amerikaner. Zu Alex’ Freundeskreis zählen et-
liche Menschen aus ‘binationalen’ Familien, die
in ihrem Leben viele Ortswechsel vollzogen
haben. Er sieht den Grund hierfür in einer ge-
meinsamen Mentalität, die aus dem Fehlen von
Heimat als „(...)feste Umgebung, die man über
Jahrzehnte hatte (...)“, erwachsen ist. „Das ist
einfach ‘ne Basis, die wir haben, über die wir
uns sehr gut verstehen können“. Einige dieser
Freundschaften sind auch über große räumliche
Distanzen hinweg seit vielen Jahren sehr inten-
siv geblieben.
An dieser Passage wird deutlich, wie Alex’
Blick auf die Seßhaften zwischen ironischer Di-
stanzierung und Anerkennung, vielleicht sogar
„Bewunderung, schwankt.
Vgl. hierzu Keupp, Heiner u.a.: Identitätskon-
struktionen. Das Patchwork der Identitäten in
der Spätmoderne., Reinbeck b. Hamburg, 1999,
Alex lebt seit 12 Jahren mit seinem Lebensge-
fährten zusammen, Auch dies ist ein Moment
der Stabilität in seinem Leben.
Neben einer Romantisierung der Jugendzeit
klingen hier auch traditionale Italienbilder (z.B.
Lebenslust, Lockerheit u.ä.) an, die bis heute
von und für Touristen produziert und tradiert
„ werden.
“Weil er nicht von der Wurzel her für die sin-
gulären Bestandteile oder die einseitigen Ten-
denzen der Gruppe festgelegt ist, steht er allen
diesen mit der besonderen Attitüde des ‘Objek-
tiven’ gegenüber, die nicht etwa einen bloßen
Abstand und Unbeteiligtheit bedeutet, sondern
ein besonderes Gebilde aus Ferne und Nähe,
Gleichgültigkeit und Engagiertheit ist.” Sim-
mel, Georg, a.a.O. S. 510.
Zur Thematisierung des Umgangs mit dem Na-
tionalsozialismus in Gesprächen über Deutsch-
land s. den Beitrag von Alexandra Claus in die-
sem Band.
Verwiesen sei hier zum Beispiel auf die Ausein-
andersetzungen zwischen Ignatz Bubis und
Martin Walser im Herbst 1998 und die Debat-
te um das Holocaust-Mahnmal in Berlin.
„ Simmel, Georg, a.a.O., S. 509.
„Den Fremdländer kann ich mir nun mal nicht
von der Visage wischen.“, Feridun Zaimoglu in
einem Spiegel-Gespräch, in dem auch die Aus-
wirkungen als ‘fremdländisch”’ wahrgenomme-
nen Aussehens auf Handlungen und Haltungen
thematisiert werden. in: „Dies ist unser Land.“
Spiegel-Gespräch mit John A. Kantara, Minh-
Khai Phan-Thi und Feridun Zaimoglu über
Fremdheit in der deutschen Kultur., In: Der
Spiegel , Nr.47/2000, S. 68-72. hier S. 70.
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