stationär« sollten lange stationäre Aufenthalte möglichst vermieden und - soweit
es für die Betroffenen angemessen erschien - eine ambulante Behandlung und
3Setreuung der stationären Aufnahme vorgezogen werden. Im Zuge dieser neuen
Versorgungsphilosophie wurden zahlreiche neue Angebote und Strukturen ei-
ner gemeindepsychiatrischen Versorgung geschaffen, die bis heute von Insti-
tutsambulanzen, verschiedenen Wohnbetreuungsformen und psychiatrischer
Hauskrankenpflege über Beratungs- und Kontaktstellen bis hin zu geschützten
Arbeitsplätzen in Werkstätten, Tagesstätten und ähnlichem reichen (vgl. Senats-
verwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz 1997). Erklärtes Ziel
war es, sowohl für den Bereich von Pflege und Behandlung, dem Bereich Woh-
aen, als auch in den Bereichen Beratung, Beschäftigung und Tagesstrukturierung
eine Bandbreite von Angeboten zu schaffen, um für jeden Einzelfall die ange-
messene Versorgungsform anbieten zu können und zu gewährleisten, dass die
Betroffenen in ihrem gewohnten Umfeld integriert werden oder integriert blei-
ben. Dieser Paradigmenwechsel von stationären hin zu ambulant-kommunalen
Hilfen sollte langfristig nicht nur zu einer Ent-Hospitalisierung psychisch Kran-
ker führen, sondern auch die Notwendigkeit einer institutionellen Unterstüt-
zung - also auch im Rahmen von Heimen oder anderen betreuten Wohnformen
- minimalisieren. Gerade am Beispiel der Heimunterbringung, die eigentlich
die letzte Alternative im Ent-Hospitalisierungsprozess sein sollte, deutet sich
allerdings an, dass es eher zu einer Verschiebung der Versorgung vom statio-
nären in den komplementären Sektor kommt (vgl. Psychiatrie-Bericht Deutsch-
land 2007, 43; Vock u.a. 2007). Trotz der grundlegenden Umstrukturierung der
psychiatrischen Versorgung erscheint aus heutiger Sicht das Ziel einer (Re-)In-
tegration psychisch Kranker in die Gesellschaft nach wie vor problematisch und
wird sowohl von den Professionellen des psychiatrischen Versorgungssystems
als auch den Betroffenen und Angehörigen kritisch diskutiert. Problematisiert
wird vor allem, dass die Betroffenen in eine Art »geschützte Parallelwelt« aus be-
reutem Wohnen, gesonderten Arbeitsstätten und fortlaufender psychiatrischer
Behandlung eintreten und nur selten wieder Anschluss an den »normalen« ge-
sellschaftlichen Alltag finden. Gemeindepsychiatrische Hilfen bewegen sich da-
bei in einem Spannungsfeld von Fürsorge für kranke Menschen einerseits und
dem Ziel eines weitestgehenden Erhalts beziehungsweise einer Förderung der
Selbstständigkeit der Betroffenen. Wie sich dieses Spannungsfeld von Fürsorge
und Erhalt der Eigenständigkeit in den Alltagen von komplementären Versor-
zungseinrichtungen in einem Bezirk in Berlin gestaltet, untersuchen die hier
vorliegenden studentischen Beiträge. Sie gewähren Einblicke in die alltäglichen
Praxen der Versorgung und skizzieren in ihrer detaillierten Beschreibung die Am-
bivalenzen und Aushandlungsprozesse, welche die Alltage von Menschen mit
Psychiatrie-Erfahrung prägen.
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