Studien in alten Briefstellern 27
Grußbriefen im bürgerlichen Ton und im Hofton,
von denen namentlich letztere eine wahre Fundgrube
find für das Studium der grammatifchen und logischen
Sinnlosigkeit und des rhetorischen Ungeschmacks jener
traurigen Zeit. Ich will zur Probe einen solchen
Grußbries mitteilen, und zwar den kleinsten, den ich
finde, und der „zufolge jetzt üblichem Hof-stzcko ein
gerichtet" und ganz besonders kurz und dumm ist:
„Großgeneigt-sehr-werter Herr! Alldieweilen eine
herztreugemeinte Freundschaft erfordert, einen lieb
werten Herrn dann und wann schriftlich heimzusuchen,
so habe zu Bezeugung dienstschuldigster Auswärtigkeit
wtch kraft dieses verschreiben wollen, daß meines
Herrn Gebieten mein Erbieten seyn und verbleiben
solle, inmaßen ich lebenslangwierig verbleibe — meines
^ errn treu- und dienstwilliger Knecht N. N."
Solche Grußbriefe schreiben wir nun zwar nicht
mehr, aber wir machen noch ebenso inhaltlose Gruß-
besuche „zufolge jetzt üblichem Hof-8t^1o" und haben
darum kein sonderliches Recht, uns über die Brief
schreiberei der Vorfahren lustig zu machen.
Einen Hauptbestandteil der alten Briefsteller bildet
das sogenannte „Titularbuch". Im späteren Mittel
ster noch hatten die Titel und Höflichkeitsprädikate
lluf einer natürlichen und prinzipiellen Grundlage ge
muht, als Zeichen des Berufes und Standes;
iw siebzehnten Jahrhundert dagegen waren sie bloß
Zeichen eines bald wirklichen, bald nur ange-
fchmeichelten Ranges geworden und eben dadurch
ein willkürliches Formelwesen. Dennoch sprach man