Volltext: Rügensche Volkskunde

Während diese Tänze bezüglich ihres Ursprungs mehr auf die neuere 
Zeit hinweisen, gibt es andere, die älter sind und ihre Motive letzten Endes 
vielleicht aus dem Heidentum entlehnt haben. Schon Grümbke nennt II 82 
als den originellsten unter den rügenschen Charaktertänzen den Schäfertanz, 
der in der pantomimischen Darstellung einer Schafschur bestand. Dieser Tanz 
ist auf Rügen zur Zeit nicht mehr bekannt, wie es scheint. Dagegen er 
scheint auf den Ornklaatschen zuweilen noch der Schimmelreiter. Der Schimmel 
wird auf folgende Weise gebildet: Zwei Männer stellen sich mit dem Rücken 
gegen einander und werden durch einen um den Unterleib gelegten Strick zu 
sammengebunden. Darauf beugen sie die Oberkörper nach vorne und nehmen 
zur Stütze je zwei dicke Stöcke in die Hände. Uber das so gebildete Roß 
wird ein weißes Laken gebreitet, und ein dritter setzt sich als Reiter oben 
darauf. Der Reiter hat einen breitrandigen Hut auf dem Kops, auf dem 
Rücken einen unförmlichen Buckel und an der Seite eine Kiepe, in der sich 
eine Flasche mit Wasser befindet. Nachdem der Schimmelreiter mit lautem 
Hallo und in möglichst eiligem Schritt auf den Tanzplatz gesprengt ist, läßt 
er den Schimmel vorne und hinten ausschlagen, sich in die Höhe riesen und 
auf die Zuschauer losgehen. Dann bekommen Roß und Reiter zu trinken, 
und damit das recht gründlich geschehe, sagt der Reiter: „Mein Schimmel 
sauft von hinten und von vorn!" Wenn der Schimmel versorgt ist, trägt 
der Reiter das Lied vom „Doktor Eisenbart" vor, und am Schluß nimmt 
er die Flasche aus der Kiepe, löst den Korken und bespritzt die ganze Um 
gebung mit seiner Medizin. Dann fährt er fort: 
So wahr ich Doktor bin 
Und Eisenbart tu heißen, 
Soll sich mein Schimmel 
In zwei Stücke reißen. 
Inzwischen haben die Männer, die den Schimmel darstellen, den ver 
bindenden Strick schon ein wenig gelockert; bei den letzten Worten lösen sie 
ihn ganz und lassen den Reiter zwischen sich aus die Erde gleiten. 
Andere pantomimische Tänze, die auch gelegentlich zur Aufführung ge 
langen, sind die Siebensprünge, Panitschenschoh, der Barbiertanz u. a. Grümbke 
teilt mit, daß vor hundert Jahren der Schustertanz, der Webertanz und die 
tourigen Tänze Lummerei, Kuhlbors, Rundohr auf den rügenschen Erntefesten 
beliebt waren. Ohne Zweifel verfügt die tanzlustige Jugend auf den Dörfern 
und Gütern über ein reichhaltigeres Repertoire an Tänzen als der Tänzer 
im städtischen Ballsaal. 
Das ist dieselbe Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit, die, wie wir ge 
sehen haben, auch sonst dem volkstümlichen Leben das charakteristische Ge 
präge verleiht. Freilich ist schon vieles von den alten Volksbräuchen im Laufe 
der Jahrzehnte und Jahrhunderte in Vergessenheit geraten und außer Übung 
gekommen, und damit ist zweifelsohne ein reicher Schatz an Heimatglück und 
Heimatfreude verloren gegangen. Aber vieles von den altväterischen Sitten 
und Bräuchen hat sich dank der insularen Abgeschlossenheit Rügens bis zur 
Gegenwart erhalten, und jeder Volksfreund wird wünschen, daß dieser Schatz 
auch weiter für fernere Generationen erhalten bleiben möge. Durch nichts 
wird der Heimatsinn und die Anhänglichkeit an die heimatliche Scholle so 
genährt und gefördert, als durch treues Festhalten an dem, was die Vor 
fahren an Sitte und Brauch, an Gewohnheit und Eigentümlichkeit in Tracht 
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