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Im Essen und Trinken scheinen die Rügianer im 15. und 16. Jahr
hundert tatsächlich oft das richtige Mkß überschritten zu haben. Zum Be
weise dient ein lateinischer Knittelvers, den der Camminer Bischof Benedikt
Waldstein, „ein Oberländer", verfaßte, als er von dem starken Essen der
Mgianer hörte:
81 tu ton poteris septem maltida vorare
Et monstrum case'i, non Rugianus eris!
d. i. kannst du nicht sieben Mahlzeiten aus einmal hinabschlingen und dazu
noch ein Ungetüm von Käse, so wirft du kein echter Rügianer sein.
In dem Rufe, starke Esser und Trinker zu sein, stehen die Rügianer
noch heutigen Tages. Das zeigen uns sprichwörtliche Redensarten wie die
folgenden: Dörch de Kehl geht väl. — De het natt lodert. — De Goos
is 'n narrsehen Vagei: tom Frühstück is dat 'n bäten to väl, un to
Middag nich recht geneg. — He frett as ’n Schüündöscher. — Nu
holl ick dat sacht mit eenen nt, de in vieruntwintig Stunn nicks krägen
het. — Wat man sich afsport an ’n Munn’, dat treten nähst Hatten
un Hunnb — Das zeigen uns auch Schwänke und Erzählungen, wie die
folgenden: Was Johann zu leisten vermag (Haas: Rüg. Sagen, 2. Aust. 204),
Warum Johann im französischen Kriege das Eiserne Kreuz kriegte; und He
kann nich mihr (Haas: Schnurren, Schwänke und Erz. 20. 34).
Im übrigen nehmen die Rügianer gerne teil an anderen Charakter
zügen, die von den Pommern im allgemeinen gelten. König Friedrich Wil
helm I. hat sie „treu wie Gold" genannt. Friedrich der Große rühmt ihren
geraden, naiven Sinn, ihre Offenherzigkeit und Kriegstüchtigkeit. In letzterer
Beziehung sei auch an Fritz Reuters Vers (Läuschen un Riemels II 22) er
innert:
De pommersch Bur, dei is tau kenn’,
Wenn hei ’t Gewehr fött bi dat Enn’,
Wenn hei den Kolben fluschen lett
Un wenn hei dicke Arwten frett.
Unser großer rügenscher Landsmann Ernst Moritz Arndt urteilt: „Die
Art meiner Heimat ist etwas träge und bequem, aber durchaus gutmütig und
gerade; ihre mit Recht gepriesene Fröhlichkeit, Tapferkeit und Treue beugt
sich selten zu Ränken und Hinterlisten nieder".
Am ausführlichsten äußert sich I. I. Grümbke (Darstellungen II, 55
bis 61) über den rügenschen Volkscharakter. Unter den Bürgern und Hand
werkern, sagt er, herrscht kein ordentlicher Wohlstand, und daher fehlt das
heitere, gemütliche Leben, das dadurch erzeugt wird*) . . . Sie sind zum Teil
roh, streitsüchtig und von plebejischen Leidenschaften beherrscht... Das rügensche
Landvolk ist von mittlerer Statur, breitschultrig, selten schön gebaut und meist
dünn von Waden, sonst durch Klima und Lebensart abgehärtet und kraftvoll.
Von Jugend auf an schwere körperliche Arbeit gewöhnt, können sie, wenn es
ihnen ernst ist, sich lange und anhaltend anstrengen. . . Trotz einer gewissen
Langsamkeit und Schwerfälligkeit beweisen sie doch im allgemeinen Fleiß und
Emsigkeit in ihren Geschäften. Bei einer gewissen Ruhe und Bedächtigkeit,
man könnte fast sagen Gleichgiltigkeit können sie doch sehr aufgebracht und
zornig werden und sind gegen Höhergestellte übelnehmend und unter sich zänkisch
*) Ist inzwischen anders geworden.