„Zaunerrichtung““ eine notwendige, weil angeborene, Verhaltens-
weise? Wie ist das Bedürfnis, einen Lebensraum zu besitzen und zu
verteidigen, im Laufe der menschlichen Entwicklung manipuliert
und ausgenutzt worden, und welche Möglichkeiten der friedlichen
Koexistenz wären trotz und mit Territorialität gegeben?
Kann der Mensch - wie es 1869 der russische Anarchist Bakunin
forderte — ,,den natürlichen Patriotismus als eine rein tierische Tat-
sache**,? d.h. das solidarisch-verteidigungsbereite Leben einer
kleinen Gemeinschaft in einem umgrenzten Lebensraum, überwin-
den und zu einer grenzfreien, menschheitsumfassenden Solidaritit
gelangen? Dagegen bezeichnete Rousseau 1754 in seiner Preis-
schrift ,,Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité
parmi les hommes'' den Menschen als ein ,,entartetes Tier, weil er
sich Land aneignete, ,,das allen gehórte", weil er den ersten Zaun
errichtete.? Reifit die trennenden Zàune nieder, erkennt, daf) der
Besitz, das Land allen gehórt; das waren die politischen Forderun-
gen Rousseaus und Bakunins! Die Forderung war die gleiche, nur
die anthropologische Grundlage des Revieranspruchs wurde ver-
schieden gesehen. Bei dem einen: der Mensch als das ,,entartete
Tier*, beim anderen: der Mensch mit Relikten seiner ,,tierischen
Natur!
Ist Territorialitit aber wirklich nur Zaunerrichtung und Zaun-
verteidigung? Ist das Bedürfnis hinter diesem Verhalten ein Be-
dürfnis nach eigenem Land oder Revier um des Reviers willen?
Müßte also unser gesellschaftliches Ziel sein, dieses Bedürfnis — als
tierisches Relikt — mit allen Mitteln zu überwinden? Oder liegt
vielmehr die Entartung nicht in der Territorialität als solcher, son-
dern in ihrer historischen Entwicklung beim Menschen?
Ist Territorialität tatsächlich nur eine angeborene „raumgebun-
dene Intoleranz, wobei ‚Gebietsbesitzer‘ immer derjenige ist, der
den Artgenossen verdrängt“? Aggression und Kampf um des
Raumprinzips willen?
Wenn wir dagegen in das Zentrum des Problems nicht das ag-
gressiv-offensive und defensive Verhalten stellen, sondern die
Frage nach den durch ein Territorium zu befriedigenden Bedürf-
nissen, den Bedürfnissen nach Sicherheit, Aktivität und Identität in