geweckt. 1765 gab Thomas Percy seine „Reliques
of Ancient English Poetry“ heraus.®) Seinem Beispiel
wollte Herder folgen; sagt er doch selbst: Der An-
blick seiner Sammlung beweise, daß er von englischen
Volksliedern ausgegangen sei,®) In dem 1773 ge-
druckten Aufsatze „Über Ossian und die Lieder alter
Volker, der bereits zwei Jahre früher geschrieben war,
wendet er den Ausdruck ,,Volkslied* zuerst an. Was
er unter diesem Worte verstand, geht aus seinen 1778
und 1779 zu Leipzig herausgekommenen ,, Volksliedern“
hervor, die erst nach seinem Tode als „Stimmen der
Völker in Liedern‘“ bezeichnet wurden. Wo nahm
Herder das Wort her? Man vermutet, das französische
,chanson populaire", ,,poésie populaire', das englische
„popular song“, „popular poetry** habe er damit wieder-
geben wollen. Der Ausdruck ,Populàrlied", den er
gelegentlich braucht, scheint das zu bestátigen. Freilich
hat Percy nur von „popular ballads‘ und „popular
rhimes‘“ gesprochen, eine Beeinflussung durch ihn
hinsichtlich der Namengebung ist also nicht anzu-
nehmen.)
Was der Kunstübung eines überbildeten Zeitalters
entspringt, was im Sinne der Aufklärung vernünftelt,
was echt nationales Fühlen vermissen läßt, sich nach
ausländischem Vorbilde richtet, was mit Gelehrsamkeit
prunkt und nur für den engen Kreis literarischer Fein-
schmecker geschaffen ist, das gilt Herder als Kunst-
dichtung; alles Einfache, Natürliche, vaterländisch
Empfundene bezeichnet er als Volksdichtung. In
diesem Sinne war ihm Homer, war ihm Hesiod ein
Volksdichter, in diesem Sinne machte er zu Claudius’
Abendlied ,,Der Mond ist aufgegangen die Bemerkung:
„Das Lied ist nicht der Zahl wegen hergesetzt,
sondern einen Wink zu geben, welches Inhalts die
besten Volkslieder seyn und bleiben werden. Madame
de Staél in ihrem Buche , De I'Allemagne gibt Herders