Fabio Mugnaini
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ger Leute, von denen die meisten wieder Alltagskleidung trugen. Die Zeremonie
war schlichter, die Intensität der Erinnerung dafür um so größer. Noch einen Tag
später verschwanden die Bilder der Verstorbenen wieder aus den Schlafzimmern.
Sie wurden tief in die Schubladen der schweren Kommoden vergraben, und nie
mand wäre auf die Idee gekommen, sich Masken aufzusetzen, Scherze zu treiben
oder eine Gruselstimmung zu verbreiten. Nirgends gab es wandelnde Skelette,
Werwölfe oder Vampire, die durch die Straßen gezogen wären.
Nichts von der gegenwärtigen Halloween-Parade war präsent. Oder, genauer
gesagt, es war bereits alles vorhanden, nur gehörten die Motive und Figuren einer
anderen symbolischen Ordnung an. Werwölfe tauchten in den Geschichten auf, die
während der Totenwache erzählt wurden, und auch unheimliche Friedhöfe waren
uns aus den Erzählungen bekannt. Die Todesangst war ebenso gegenwärtig, beson
ders an Orten, an denen Menschen plötzlich und qualvoll umkamen. Es gab zahl
reiche Schauergeschichten (sie wurden von Volkskundlern gesammelt), jedoch
wiesen sie keine spezielle Verbindung zu den ersten Novembertagen auf. Sogar
Kürbisse gehörten in Jack-o’-Lantern -Manier zur lokalen Tradition. Im Spätsom
mer wurden die Kürbisse geerntet und als Schweinefutter aufbewahrt. Manche von
ihnen wurden ausgehöhlt und mit einer Kerze im Inneren auf Fensterbänke und
Treppenabsätze gesetzt. Diese, als „morte secca“ bezeichneten Kürbisse (ein Be
griff, mit dem auch Totenköpfe benannt werden), standen jedoch in keinerlei Ver
bindung zu den Totenfeiern. Auch das Suchen gehörte im Rahmen eines Versteck
spiels (dessen Requisiten Süßigkeiten waren) in der Toscana und auch anderswo in
Italien zu den saisonalen Ritualen. Die toskanische Kultur kennt vergleichbare
Bräuche, die von Pietro Clemente gründlich untersucht worden sind - am 1. Mai,
am Ende der Fastenzeit oder am Dreikönigstag (Clemente 1978). Der Sinn dieser
Suchzeremonien besteht im sozialen Austausch und in der artistischen Darbietung-
Sie dienten der Erzeugung eines Gefühls lokaler Zugehörigkeit und hatten nichts
mit Metaphysik oder einer vom Zeitgeist angehauchten Zelebration von Natur und
Wiedergeburt zu tun.
Es ist wichtig, die einzelnen Elemente des Halloween-Themas, von Franken
stein über Außerirdische bis hin zu Vampiren, Hexen und Werwölfen daraufhin zu
untersuchen, welche von ihnen erst vor kurzem Eingang in die populäre Kultur
gefunden haben und welche ihr bereits seit längerem angehören. Zwar tauchen
Werwolfgeschichten bei den Totenwachen auf, doch stellen sie dort keine konkrete
Bedrohung für normale Menschen dar. Vielmehr repräsentieren diese Werwölfe
leidende Menschen, deren zunehmende Schmerzen durch laute Drohrufe artiku
liert werden. Häufig bekamen diese vermeintlichen Werwölfe eigene Namen, wie
dies auch bei Hexen üblich war. Beide Figuren standen jedoch weder mit dem
Totenkult Anfang November noch mit anderen Schilderungen des Todes in Ver
bindung. Während das Reich der Angst sehr wohl mit dem Tod zu tun hat, lässt
sich die Bedeutung des Todes nicht allein auf Angst reduzieren.