mus, als ein kritischer, beinhaltet kein liberalistisches Laissez-
faire, sondern zunächst die De-Collage alter und neuer Selbstver-
ständlichkeiten, alter und neuer Ideologien, alter und neuer Ab-
solutheitsansprüche in fremden und eigenen Gesellschaften —
und für uns als westliche Anthropologen insbesondere in der ei-
genen Gesellschaft. Aber dieser Relativismus bedeutet auch den
Aufweis anderer Möglichkeiten, die wir als Anthropologen in
dem Arsenal der menschlichen Kulturen finden können. Und
schließlich beinhaltet dieser anthropologische Relativismus auch
eine Zuversicht, daß Menschen über die zu vermittelnde Erfah-
rung der Relativität ihres Handelns hinsichtlich verfestigter, er-
starrter Kulturmuster den Mut zu neuen Entwürfen gewinnen
und in sozialer Phantasie aus den Fragmenten kultureller Alter-
nativen etwas Neues entstehen lassen. -
Das ist das Collage-Prinzip des kreativen Widerspruchs, wie
ihn die Surrealisten in Kunst, Literatur und Ethnographie ver-
wandt haben. Es ist ein revolutionierendes Prinzip, das in stándi-
ger Decollage und Collage gesellschaftliche Widersprüche auf-
deckt und sie in die relative Identität der Gegensätze überführt.
Diese Identität wird im dialektischen Denken als eine relative ge-
sehen, während der Prozeß der Verwandlung unendlich und ab-
solut ist. Mao Tse-tung hatte aus dieser Erkenntnis die Praxis der
permanenten Revolution gegen die Erstarrung abgeleitet, wobei
er von der zyklischen Form der Wahrheitsgewinnung über die
sinnliche Erfahrung zur rationalen Erkenntnis, zur Praxis und
wieder zur Erkenntnis ausgeht: Praxis, Erkenntnis, wieder Praxis
und wi.."7r Erkenntnis — diese zyklische Form wiederholt sich end-
los, und der Inhalt von Praxis und Erkenntnis wird bei Jedem einzel-
nen Z;4ius auf eine höhere Stufe gehoben. Henri Lefébvre, der
französische Kritiker des Alltags/c*zns in der modernen Welt, for-
derte in den 60er Jahren unsere Kulturrevolution. Ausgehend von
einer radikalen Kritik der Kultur, des Prestiges und der mit diesen
Worten verbundenen Illusionen, ihrer Institutionalisierung, galt die
Forderung der Schópfung einer Kultur als Lebensstil, als einer
auf Praxis hin orientierten Kultur, galt einer transformierten Al'-
táglichkeit, als Werk, als Ausdruck einer Gruppe, die ihr gesell-
schaftliches Schicksal in die Hand und in P/lege nimmt. Eine kriti-
sche Anthropologie kann nicht mehr leisten als den Versuch, die
sinnliche Erfahrung menschlicher Praxis und ihrer Widersprüche
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