Palaästina.
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Palästina, das heute nur 330000 Einwohner zählt, ist eins der belieb—
testen Beispiele für alle diejenigen, welchen die Erschöpfung der Naturkräfte
durch die Kultur zum Dogma geworden ist. Wer den Blick über die Öden
der Felswüste Judäas schweifen läßt und sich dann das Land, in dem „Milch und
Honig floß“, als Paradies ausmalt, glaubt den vollgiltigsten Beweis für seine
Anschauungen zu besitzen. Er vergißt, daß die Gebiete, welche im Regenschatten
der Höhen von Hebron liegen, schon im Altertum die Wüste Juda bildeten,
daß schon die alten Juden in ihrer regenarmen Heimat vornehmlich Schaf⸗
züchter waren und sorgsam ihre Quellen hüteten und Cisternen gruben, daß in
einem sommerdürren Lande die Zerstörung von Wald und Kulturfeldern weit
leichter als ihre Wiederherstellung ist. Bessere Verhältnisse scheinen sich wieder
anzubahnen, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß Palästina noch einmal
wieder ein Land wird, wo jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum von des
Tages Arbeit ausruhen kann.
Palästina ist ein aus nahezu horizontalen Schichten aufgebautes Kalk—⸗
plateau, das durchsetzt wird von dem Grabenbruche des Jordanthales und nach
Westen gegen das Mittelländische Meer wie der Libanon in Staffeln abgesunken
ist. Die tiefste Stelle des Grabenbruches nimmt das 76 km lange und 15 Km
breite Tote Meer ein, welches sich einst beträchtlich weiter ausdehnte, aber niemals
mit dem Ocean in Verbindung stand. Zur Zeit der Hochwasser des Jordan
steigt der Spiegel des schweren salzhaltigen Binnensees um 4 bis 6 mm und über—
schwemmt die Salzsümpfe an seinem südlichen Ende. In 150 km Entfernung
vom Nordrande des Toten Meeres liegen in einem wenig den Meeresspiegel
überragenden Niveau die Papyrussümpfe, durch welche die an den Abhängen
des Hermon entspringenden Quellbäche ihren Lauf zum Hule— oder Meromsee
nehmen. In scharf geschnittener Erosionsfurche fließt der Jordan aus dem Hulesee
in das Becken von Genezareth oder Tiberias, dessen westliche Ufersiedelungen
ganz allmählich anfangen sich neu zu beleben. Das Ghor, die etwas über
100 kmm lange Thalstrecke vom Tiberiassee bis zum Toten Meer, durchfließt
der heilige Strom in mäandrischem Laufe. Etwa 15 mm hohe Ränder begleiten
die 2 Km breite Hochwasserfurche des Thalbodens, innerhalb deren, umsäumt von
einem dichten grünen Wulst aus Pappeln, Tamarisken, Oleander und baumartigen
Rieinus, der 30 m breite, 8 bis 4 mm tiefe Fluß sich hin- und herwindet. Dem
Wildschwein, das im Dickicht haust, folgt noch der Panther. Das Ghor, zwischen
kahlen, von Schluchten zerrissenen Wänden von mehr als 1000 m relativer Höhe,
ist ein Glutofen, über dem im Sommer eine unerträgliche Hitze brütet. Die Kultur des
Altertums war an die Berieselungsoasen der Thalränder (Jericho) geknüpft und könnte
wieder aufleben, wie die im Mittelalter gepflegte Kultur der Dattelpalmen und des
Zuckerrohrs beweisen. Heute dient der größte Teil als Winterweide, kleine Ge—
biete werden zur Kultur der im April und Mai geernteten Gerste- und Weizen⸗
aussaat benutzt. Wichtig für die Zukunft der Niederung könnten als Veranlassung
zur Anlage von Winterkurorten die heißen Mineralquellen werden, die ver—
schiedentlih aus den Bruchspalten dem Boden eutströmen und neben dem Ausfluß
jungeruptiver Bildungen die tief greifende Störung im Erdgerüste bekunden. Die