Digitalisate

Hier finden Sie digitalisierte Ausgaben ethnologischer Zeitschriften und Monografien. Informationen zum Digitalisierungsprojekt finden Sie [hier].

Suchen in

Volltext: Curare, 38.2015

Su 
seine zeitgenössischen kulturalistischen Anthropo- 
‘'ogenkollegen wendet, so weil sie eine Methode 
vertreten, die es darauf absieht, ethnische „Beson- 
derheiten“ festzustellen, während er eine metakul- 
wrelle Sichtweise anregt“ (ebd.: 958). Um nicht die 
Differenz der Differenz wegen zu erforschen, was 
die Gefahr mit sich bringt, das empfundene Leid 
oder die empfundene Lust in einer bloßen Diskursi- 
vität zum Verschwinden zu bringen, genügt eigent- 
lich die Anerkennung, dass jede Kultur ein Muster 
zines menschlichen Phänomens, der Kultur per se 
ist. 
Die Psychiatrische Klinik Fann in Dakar, 
Senegal 
[m Folgenden möchte ich versuchen, mit dem 
Begriff „metakulturell“ zwei therapeutische Inst- 
:umente der „Schule von Dakar“ — das accompa- 
znement und den penc — zu beleuchten und dabei 
Eindrücke verarbeiten, die ich sowohl bei Einzel- 
zesprächen mit Patientinnen und Begleitern, wie 
auch bei der Teilnahme an Gruppen in der Psychi- 
atrischen Klinik Fann bekommen habe. Dabei geht 
2s mir nicht um die Feststellung einer Dichotomie 
von westlicher Psychiatrie und einheimischen tra- 
ditionellen Krankheitserklärungen und Therapien, 
sondern um einen Versuch, mit einer metakulturel- 
len Haltung zu verstehen, was das therapeutische 
Milieu von Fann ermöglicht. 
Das ethnographische Material der anschließen- 
den Vignette geht auf eine dreiwöchige teilnehmen- 
de Beobachtung 1999 in Fann im Rahmen des For- 
schungsprojektes „Ethnopsychoanalytische Ansätze 
in der Teambetreuung von Migranten mit besonde- 
cen Schwierigkeiten“ zurück.! Es war als Vorarbeit 
zur Weiterentwicklung des Betreuungskonzeptes 
am Ethnologisch-Psychologischen Zentrum der 
Asyl-Organisation in Zürich (EPZ) konzipiert und 
wurde von der Direktion für Entwicklung und Zu- 
sammenarbeit (DEZA) im Rahmen des „Encoura- 
zement aux Echanges Universitaires“ unterstützt. In 
Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Seminar 
der Universität Zürich und der Asylorganisation für 
den Kanton Zürich (AOZ) konnte der Kontakt mit 
Prof. Momar Gueye, dem Direktor der Psychiatri- 
schen Universitätsklinik Fann hergestellt werden, 
der mir sehr großzügig einen ungehinderten Zugang 
zur Klinik ermöglichte. Ich reiste mit der Idee nach 
Senegal, etwas was einmal ein gemeinsames Pro- 
DANIELLE BAZZI 
jekt von Afrikanern und Europäern, von Psychoana- 
Iytikern und Ethnologen war, von dort wieder nach 
Europa zurückzubringen. 
Eine Facette des wissenschaftlichen Gesche- 
hens, die sich mit der teilnehmenden Beobach- 
‚ung nur schwerlich fassen lässt, ist die Reflexion 
des eigenen Beitrages. Was Devereux mit einigen 
soziologisch, ethnologisch, philosophisch und psy- 
choanalytisch denkenden Zeitgenossen teilt, ist die 
Wendung des Forscherblicks hin zu den Bedingun- 
gen, in die der Forscher eingebunden ist, und dies 
jest sich bei ihm noch radikaler: Zu sich als For- 
scher selbst. Als jemand, der leidenschaftlich die 
Spezifizität des Menschen auslotet, hat Devereux 
.mmer auch ein scharfes Auge auf die dabei an- 
gewendeten Methoden. Unablässig ist seine Kritik 
an objektivierenden wissenschaftlichen Methoden. 
Und sein Pochen auf der Tatsache, dass wir Psy- 
°hoanalytikerinnen und wir Sozialanthropologen es 
jind, die mit unserem Instrument der Selbstbeob- 
achtung Menschliches mit Menschlichem zu erfas- 
sen suchen. Devereux problematisiert den Begriff 
‚Beobachtung‘ unablässig. 
Im Verlauf von Einzelgesprächen mit Fatimah 
in der Klinik Fann mache ich ganz unerwartet die 
Bekanntschaft mit einem Streben nach individuel- 
ıer Autonomie, das nicht in die von der Kultur ge- 
forderte Unterordnung unter das familiäre Gesetz 
passt (vgl. weiter unten das Zitat von Collomb). 
Die im Wissensrucksack aus Zürich mitgenom- 
mene Vorstellung, dass durch die westafrikanische 
Enkulturation der Wunsch nach Individualität und 
nach Alleinsein als nicht gut erlebt wird, stellt sich 
mir seither vollkommen in Frage. Wenn es — durch 
die komplementäre Herangehensweise — eine mög- 
liche Antwort für das verblüffende Erlebnis gibt, so 
scheint es mir doch wichtig, noch etwas zu meinen 
Beobachtungen in der Klinik vorauszuschicken. In 
der Diskussion der Trennungstheorie von LENZEN 
(1973: 317ff) sagt Devereux, dass das Einzige, was 
man an dem Experiment nicht sagen kann, ist, dass 
man die Wärme des Wassers beobachtet. So kön- 
nen nicht nur Thermometer, Augapfel, Netzhaut etc. 
„Apparate“ genannt werden, sondern es kommt da- 
:auf an, ob diese Apparate fest oder locker gehalten 
werden. Je nach dem bekommt man Informationen 
im Sinne von „Wissen über“ oder „Bekanntschaft- 
mit“, Letztlich, so die These von Devereux, sind es 
‚mmer Beobachtungen „am Beobachter“. Wenn ich 
mich zurückerinnere und meine Notizen wiederle- 
YVWB -— Verlag für Wissenschaft und Bildung
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.