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seine zeitgenössischen kulturalistischen Anthropo-
‘'ogenkollegen wendet, so weil sie eine Methode
vertreten, die es darauf absieht, ethnische „Beson-
derheiten“ festzustellen, während er eine metakul-
wrelle Sichtweise anregt“ (ebd.: 958). Um nicht die
Differenz der Differenz wegen zu erforschen, was
die Gefahr mit sich bringt, das empfundene Leid
oder die empfundene Lust in einer bloßen Diskursi-
vität zum Verschwinden zu bringen, genügt eigent-
lich die Anerkennung, dass jede Kultur ein Muster
zines menschlichen Phänomens, der Kultur per se
ist.
Die Psychiatrische Klinik Fann in Dakar,
Senegal
[m Folgenden möchte ich versuchen, mit dem
Begriff „metakulturell“ zwei therapeutische Inst-
:umente der „Schule von Dakar“ — das accompa-
znement und den penc — zu beleuchten und dabei
Eindrücke verarbeiten, die ich sowohl bei Einzel-
zesprächen mit Patientinnen und Begleitern, wie
auch bei der Teilnahme an Gruppen in der Psychi-
atrischen Klinik Fann bekommen habe. Dabei geht
2s mir nicht um die Feststellung einer Dichotomie
von westlicher Psychiatrie und einheimischen tra-
ditionellen Krankheitserklärungen und Therapien,
sondern um einen Versuch, mit einer metakulturel-
len Haltung zu verstehen, was das therapeutische
Milieu von Fann ermöglicht.
Das ethnographische Material der anschließen-
den Vignette geht auf eine dreiwöchige teilnehmen-
de Beobachtung 1999 in Fann im Rahmen des For-
schungsprojektes „Ethnopsychoanalytische Ansätze
in der Teambetreuung von Migranten mit besonde-
cen Schwierigkeiten“ zurück.! Es war als Vorarbeit
zur Weiterentwicklung des Betreuungskonzeptes
am Ethnologisch-Psychologischen Zentrum der
Asyl-Organisation in Zürich (EPZ) konzipiert und
wurde von der Direktion für Entwicklung und Zu-
sammenarbeit (DEZA) im Rahmen des „Encoura-
zement aux Echanges Universitaires“ unterstützt. In
Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Seminar
der Universität Zürich und der Asylorganisation für
den Kanton Zürich (AOZ) konnte der Kontakt mit
Prof. Momar Gueye, dem Direktor der Psychiatri-
schen Universitätsklinik Fann hergestellt werden,
der mir sehr großzügig einen ungehinderten Zugang
zur Klinik ermöglichte. Ich reiste mit der Idee nach
Senegal, etwas was einmal ein gemeinsames Pro-
DANIELLE BAZZI
jekt von Afrikanern und Europäern, von Psychoana-
Iytikern und Ethnologen war, von dort wieder nach
Europa zurückzubringen.
Eine Facette des wissenschaftlichen Gesche-
hens, die sich mit der teilnehmenden Beobach-
‚ung nur schwerlich fassen lässt, ist die Reflexion
des eigenen Beitrages. Was Devereux mit einigen
soziologisch, ethnologisch, philosophisch und psy-
choanalytisch denkenden Zeitgenossen teilt, ist die
Wendung des Forscherblicks hin zu den Bedingun-
gen, in die der Forscher eingebunden ist, und dies
jest sich bei ihm noch radikaler: Zu sich als For-
scher selbst. Als jemand, der leidenschaftlich die
Spezifizität des Menschen auslotet, hat Devereux
.mmer auch ein scharfes Auge auf die dabei an-
gewendeten Methoden. Unablässig ist seine Kritik
an objektivierenden wissenschaftlichen Methoden.
Und sein Pochen auf der Tatsache, dass wir Psy-
°hoanalytikerinnen und wir Sozialanthropologen es
jind, die mit unserem Instrument der Selbstbeob-
achtung Menschliches mit Menschlichem zu erfas-
sen suchen. Devereux problematisiert den Begriff
‚Beobachtung‘ unablässig.
Im Verlauf von Einzelgesprächen mit Fatimah
in der Klinik Fann mache ich ganz unerwartet die
Bekanntschaft mit einem Streben nach individuel-
ıer Autonomie, das nicht in die von der Kultur ge-
forderte Unterordnung unter das familiäre Gesetz
passt (vgl. weiter unten das Zitat von Collomb).
Die im Wissensrucksack aus Zürich mitgenom-
mene Vorstellung, dass durch die westafrikanische
Enkulturation der Wunsch nach Individualität und
nach Alleinsein als nicht gut erlebt wird, stellt sich
mir seither vollkommen in Frage. Wenn es — durch
die komplementäre Herangehensweise — eine mög-
liche Antwort für das verblüffende Erlebnis gibt, so
scheint es mir doch wichtig, noch etwas zu meinen
Beobachtungen in der Klinik vorauszuschicken. In
der Diskussion der Trennungstheorie von LENZEN
(1973: 317ff) sagt Devereux, dass das Einzige, was
man an dem Experiment nicht sagen kann, ist, dass
man die Wärme des Wassers beobachtet. So kön-
nen nicht nur Thermometer, Augapfel, Netzhaut etc.
„Apparate“ genannt werden, sondern es kommt da-
:auf an, ob diese Apparate fest oder locker gehalten
werden. Je nach dem bekommt man Informationen
im Sinne von „Wissen über“ oder „Bekanntschaft-
mit“, Letztlich, so die These von Devereux, sind es
‚mmer Beobachtungen „am Beobachter“. Wenn ich
mich zurückerinnere und meine Notizen wiederle-
YVWB -— Verlag für Wissenschaft und Bildung