Erforschung von Christen charismatischer Pfingstkirchen auf Java
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sich und andere vom Bösen zu heilen bzw. davor
zu schützen. Die Antworten des Gründers der Ke-
'uarga Allah Kirche waren sehr ähnlich, wenn auch
liffiziler. Bei ihm war es noch schwieriger, als bei
„gewöhnlichen“ Gemeindemitgliedern ihn von
Standardantworten abzubringen. Seine Lieblings-
antwort bezog sich auf den „Herrn“ (fuhan), der ihm
ainerseits immer sagte, wie er weiter vorgehen soll.
Andererseits stellte der „Herr“ ihn immer wieder
vor neue Herausforderungen. Die jüngste bestand in
dem Auftrag, das Christentum nicht nur nach Java
sondern in die ganze Welt zu tragen. Seitdem expan-
diert die Kirche nach Kalimantan und Papua. Wenn
ch nicht aufpasste, antwortete er auf jede meiner
Fragen in dieser Art und bestärkte die Bedeutung
der Antwort wie in Pfingstkirchen üblich, mit der
Nennung eines Verses, oder einer Versnummer aus
zinem Evangelium, ohne den Text zu zitieren.
Ich musste meine Fragen verändern. Sehr gut
funktionierte lebensgeschichtliches Erzählen. Mei-
ae Informanten erzählten mit großem Engagement
von zentralen Unterschieden zwischen ihrem frühe-
en und jetzigen Leben oder auch davon, wie sie zu
3iner bestimmten Erkenntnis kamen. Die Erzählun-
zen boten zahlreiche Ansatzmöglichkeiten für wei-
iere Fragen. Auch fühlten sich meine Informanten
anders als bei Fragen zu Kirche und Glauben un-
angreifbar, da sie ihre eigene Geschichte erzählten.
Ganz nebenbei sprachen sie dann auch darüber,
welche kirchlichen Regelungen zu Schwierigkeiten
mit Verwandtschaft und Nachbarschaft führten und
welche dieses Verhältnis erleichterten. Manche cha-
rismatische Kirchen passten die christlichen Fas-
tenzeiten an den muslimischen Fastenkalender an
und ließen ihre Mitglieder ebenfalls in dieser Zeit
fasten. Oder sie legten Morgengebete parallel zu
Gebeten der Muslime. Dadurch betete eine Nach-
barschaftsgemeinschaft zwar in unterschiedlichen
Gebäuden aber doch zur gleichen Zeit. Hingegen
barg das Verbot charismatischer Kirchen, Tote zu
verehren bzw. die Auffassung, dass Gebete für Ver-
storbene nutzlos seien und deshalb nicht stattfinden
sollten, hohes Konfliktpotenzial mit der traditionell
javanischen Verwandtschaft. An bestimmten Tagen
nach Eintreten des Todes beten auf Java Familie und
Nachbarn gemeinsam im Wohnhaus des Verstorbe-
nen. Die Weigerung charismatischer Christen, an
diesen Gebeten teilzunehmen oder sie im eigenen
Haus zu erlauben, war eine klare und harte Ableh-
ıung des Brauchtums der Mehrheitsgesellschaft
ınd barg die Gefahr ausgegrenzt zu werden.
Missionierung durch Heilen
Die bisherigen Überlegungen zu meiner Forschung
zeigen, dass die von mir empfundene Distanziert-
aeit wesentlich von meiner Wohnsituation in der
Stadt oder am Stadtrand abhing. Auch der unge-
wohnte Gottesdienstablauf und die immer gleich
lautenden Erklärungen für Erlebnisse und Beobach-
ungen waren mir unangenehm. Weniger wichtig
und problematisch als erwartet waren dagegen die
Konventionen der javanischen Sprache oder meine
sigene Distanz zum Christentum und speziell zur
charismatischen Kirche. Es gab aber noch einen
weiteren Grund für den spezifischen Umgang mit
mir. Er hing entscheidend mit dem Missionsauftrag
charismatischer Kirchen zusammen. Ihre Mitglie-
der sollten „Liebe“ (kasih) in die Welt tragen und
die Menschen von allem „Bösen“ befreien. Dieses
Ansinnen wurde mir besonders deutlich vor Augen
geführt, als ich im Dezember 2011 an einem Ad-
ventsgottesdienst einer Pfingstkirche teilnahm. Die
<irche ging davon aus, dass die Teilnehmer, für
die der Gottesdienst exklusiv veranstaltet wurde,
"risch getaufte ehemalige Mitglieder einer musli-
mischen Ahmadiyya Gemeinde wären. Durch die
Taufe sollten sie vor Verfolgungen durch fanati-
sierte Muslime geschützt werden. Die Gruppe leb-
te an der Südküste Javas und war mit Bussen zum
Gottesdienst in die Stadt gebracht worden. Um den
vermeintlich neuen Christen den Glauben nahe zu
’ringen, wurde auf zwei Dinge besonders geachtet.
Jeder musste sich mit hoch erhobenen Armen am
enthusiastischen Gesang beteiligen. Wer, so wie ich,
nur aufstand ohne laut und mit erhobenen Armen
zu singen, wurde von im Raum verteilten Anima-
:euren zur aktiven Teilnahme ermahnt. Abgesehen
von den Gesangsübungen konnten sich Freiwillige
1seilen lassen. Zum Beispiel hielt der Pfarrer dafür
die Hand eines Mannes, der sich über starke Schul-
;erschmerzen beklagt hatte. Nun sollte der Mann
dem Pfarrer nachsprechen und sagen, dass er sofort
aufhören würde zu rauchen. Der Mann weigerte
sich, diesen Satz zu wiederholen. Er wollte nicht
aufhören zu rauchen. Eine kleine Auseinanderset-
zung war die Folge. Der Pfarrer betonte, dass Hei-
ung nur möglich sei, wenn seine Worte genau nach-
gesprochen werden. Die beiden starteten die ganze
Curare 38(2015)1+2