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Volltext: Curare, 38.2015

Erforschung von Christen charismatischer Pfingstkirchen auf Java 
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sich und andere vom Bösen zu heilen bzw. davor 
zu schützen. Die Antworten des Gründers der Ke- 
'uarga Allah Kirche waren sehr ähnlich, wenn auch 
liffiziler. Bei ihm war es noch schwieriger, als bei 
„gewöhnlichen“ Gemeindemitgliedern ihn von 
Standardantworten abzubringen. Seine Lieblings- 
antwort bezog sich auf den „Herrn“ (fuhan), der ihm 
ainerseits immer sagte, wie er weiter vorgehen soll. 
Andererseits stellte der „Herr“ ihn immer wieder 
vor neue Herausforderungen. Die jüngste bestand in 
dem Auftrag, das Christentum nicht nur nach Java 
sondern in die ganze Welt zu tragen. Seitdem expan- 
diert die Kirche nach Kalimantan und Papua. Wenn 
ch nicht aufpasste, antwortete er auf jede meiner 
Fragen in dieser Art und bestärkte die Bedeutung 
der Antwort wie in Pfingstkirchen üblich, mit der 
Nennung eines Verses, oder einer Versnummer aus 
zinem Evangelium, ohne den Text zu zitieren. 
Ich musste meine Fragen verändern. Sehr gut 
funktionierte lebensgeschichtliches Erzählen. Mei- 
ae Informanten erzählten mit großem Engagement 
von zentralen Unterschieden zwischen ihrem frühe- 
en und jetzigen Leben oder auch davon, wie sie zu 
3iner bestimmten Erkenntnis kamen. Die Erzählun- 
zen boten zahlreiche Ansatzmöglichkeiten für wei- 
iere Fragen. Auch fühlten sich meine Informanten 
anders als bei Fragen zu Kirche und Glauben un- 
angreifbar, da sie ihre eigene Geschichte erzählten. 
Ganz nebenbei sprachen sie dann auch darüber, 
welche kirchlichen Regelungen zu Schwierigkeiten 
mit Verwandtschaft und Nachbarschaft führten und 
welche dieses Verhältnis erleichterten. Manche cha- 
rismatische Kirchen passten die christlichen Fas- 
tenzeiten an den muslimischen Fastenkalender an 
und ließen ihre Mitglieder ebenfalls in dieser Zeit 
fasten. Oder sie legten Morgengebete parallel zu 
Gebeten der Muslime. Dadurch betete eine Nach- 
barschaftsgemeinschaft zwar in unterschiedlichen 
Gebäuden aber doch zur gleichen Zeit. Hingegen 
barg das Verbot charismatischer Kirchen, Tote zu 
verehren bzw. die Auffassung, dass Gebete für Ver- 
storbene nutzlos seien und deshalb nicht stattfinden 
sollten, hohes Konfliktpotenzial mit der traditionell 
javanischen Verwandtschaft. An bestimmten Tagen 
nach Eintreten des Todes beten auf Java Familie und 
Nachbarn gemeinsam im Wohnhaus des Verstorbe- 
nen. Die Weigerung charismatischer Christen, an 
diesen Gebeten teilzunehmen oder sie im eigenen 
Haus zu erlauben, war eine klare und harte Ableh- 
ıung des Brauchtums der Mehrheitsgesellschaft 
ınd barg die Gefahr ausgegrenzt zu werden. 
Missionierung durch Heilen 
Die bisherigen Überlegungen zu meiner Forschung 
zeigen, dass die von mir empfundene Distanziert- 
aeit wesentlich von meiner Wohnsituation in der 
Stadt oder am Stadtrand abhing. Auch der unge- 
wohnte Gottesdienstablauf und die immer gleich 
lautenden Erklärungen für Erlebnisse und Beobach- 
ungen waren mir unangenehm. Weniger wichtig 
und problematisch als erwartet waren dagegen die 
Konventionen der javanischen Sprache oder meine 
sigene Distanz zum Christentum und speziell zur 
charismatischen Kirche. Es gab aber noch einen 
weiteren Grund für den spezifischen Umgang mit 
mir. Er hing entscheidend mit dem Missionsauftrag 
charismatischer Kirchen zusammen. Ihre Mitglie- 
der sollten „Liebe“ (kasih) in die Welt tragen und 
die Menschen von allem „Bösen“ befreien. Dieses 
Ansinnen wurde mir besonders deutlich vor Augen 
geführt, als ich im Dezember 2011 an einem Ad- 
ventsgottesdienst einer Pfingstkirche teilnahm. Die 
<irche ging davon aus, dass die Teilnehmer, für 
die der Gottesdienst exklusiv veranstaltet wurde, 
"risch getaufte ehemalige Mitglieder einer musli- 
mischen Ahmadiyya Gemeinde wären. Durch die 
Taufe sollten sie vor Verfolgungen durch fanati- 
sierte Muslime geschützt werden. Die Gruppe leb- 
te an der Südküste Javas und war mit Bussen zum 
Gottesdienst in die Stadt gebracht worden. Um den 
vermeintlich neuen Christen den Glauben nahe zu 
’ringen, wurde auf zwei Dinge besonders geachtet. 
Jeder musste sich mit hoch erhobenen Armen am 
enthusiastischen Gesang beteiligen. Wer, so wie ich, 
nur aufstand ohne laut und mit erhobenen Armen 
zu singen, wurde von im Raum verteilten Anima- 
:euren zur aktiven Teilnahme ermahnt. Abgesehen 
von den Gesangsübungen konnten sich Freiwillige 
1seilen lassen. Zum Beispiel hielt der Pfarrer dafür 
die Hand eines Mannes, der sich über starke Schul- 
;erschmerzen beklagt hatte. Nun sollte der Mann 
dem Pfarrer nachsprechen und sagen, dass er sofort 
aufhören würde zu rauchen. Der Mann weigerte 
sich, diesen Satz zu wiederholen. Er wollte nicht 
aufhören zu rauchen. Eine kleine Auseinanderset- 
zung war die Folge. Der Pfarrer betonte, dass Hei- 
ung nur möglich sei, wenn seine Worte genau nach- 
gesprochen werden. Die beiden starteten die ganze 
Curare 38(2015)1+2
	        
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