So erzählte er oft, daß er beim Abitur zwar in Mathematik ein leeres Blatt abgab, aber statt
dessen eine Arbeit über Naturvölker, die den Ausgleich herstellte. Einen Brief seines Vaters
an Georg Thilenius wegen der Berufsaussichten des Sohnes beantwortete Thilenius mit ei-
ner Warnung vor dem brotlosen Studium. Herbert Tischner studierte trotzdem. Und er muß-
te dann mehrere Jahre ohne Bezahlung am Museum tätig sein, ehe er schließlich eine feste
Anstellung bekam. Selbst seine Zeit als Soldat nutzte er später zur Bearbeitung und Her-
ausgabe des Materials von Georg Vicedom, dem Missionar aus Neuguinea. Und auch sei-
ne Hobbys — Briefmarken, Bücher und Fotografieren — verband er eng mit seiner Wissen-
schaft.
Fast ein halbes Jahrhundert lang — zwischen 1934 und 1981 — erschienen die wissen-
schaftlichen Arbeiten Herbert Tischners. Er blieb sich über diese ganze Zeit hinweg selbst
'reu in seinen Interessen und in seiner wissenschaftlichen Ausrichtung. Da war vor allem
sein Interesse an der Südsee, sein besonderes Interesse an der materiellen Kultur — selbst-
verständlich für einen Museumsmann — und an der Bildenden Kunst. Aber dieses Interesse
an der Kunst ging auch in eine andere Richtung: Viele seiner Bücher und seine Ausstellun-
Jen im Museum zeigten seine ausgeprägt ästhetischen Neigungen. Er stellte sie in den
Dienst der Vermittlung seiner Wissenschaft an ein allgemeines Publikum. Beispiel dafür ist
das vielleicht schönste seiner Bücher, die „Kulturen der Südsee”. Aber da war nicht nur das
Bemühen, ansprechend und ästhetisch wirksam Bücher und Ausstellungen zu gestalten,
sondern auch seine Fähigkeit, für ein allgemeines Publikum verständlich und oft spannend
zu schreiben. So spannend — wie etwa in seinem Beitrag über Samoa in dem Jugendbuch
‚So lebt man anderswo“ —, daß seine Darstellung viel interessanter wurde als die Beschrei-
ungen derer, die tatsächlich dort gewesen waren.
Das führt zu einer Facette im Leben dieses Wissenschaftlers, die wohl für manchen über-
raschend war: Der bekannte Ozeanist war selbst nie in Ozeanien, über das er so spannend
zu schreiben wußte. Es war nicht so, daß er — zumindest in den frühen Jahren — nicht in die
Südsee wollte. Es gab schon Pläne. Und er unternahm auch Reisen. So nach Tunesien
schon als Student, nach Sizilien und Kalabrien (er brachte eine Sammlung aus Italien für
das Museum mit) nach Rumänien und Jugoslawien, Schweden und Irland. Vor allem aber
mehrfach zum Berg Athos, der ihn begeisterte.
Der Krieg und später vielleicht Rücksichten auf die alten Eltern verhinderten eine Reise in
sein Arbeits- und Forschungsgebiet. Aber der eigentliche Grund lag später wohl tiefer: Er
wollte die Südsee gar nicht mehr sehen, wie sie jetzt ist und schon seit Jahrzehnten war. Er
nollte sie lieber so im Bewußtsein behalten, wie sie von den frühesten Reisenden und Ent-
deckern beschrieben worden war: unverändert und unzerstört durch die modernen Einflüs-
se. Er war sich dieser Veränderungen, die in seinen Augen immer Vernichtungen waren,
sehr bewußt. Mit voller Absicht gab er deshalb auch für das „Ethnologen-Verzeichnis“ 1981
unter dem Stichwort „Interessengebiete“ an: „traditionelle Kulturen”.
Schon in seiner Dissertation schrieb er (p. 2), „Für Forschungen an Ort und Stelle ist es
heute in großen Teilen Ozeaniens bereis zu spät.“ Fünfundzwanzig Jahre später, im Vor-
‚nort zu der von ihm herausgegebenen „Völkerkunde” (1959: 8) heißt es noch allgemeiner:
‚Das hier entworfene Bild der Kulturen ist also in den meisten Fällen ein historisches, auch
nenn dies die Art der Darstellung nicht ausdrücklich erkennen läßt.“ Aus der Nicht-mehr-