Labarum
läßt sich in gleichem Zusammenhang auf nicht satirisch gemeinten Kupfern der
1. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wien nachweisen und belegt mithin ein Stück All-
tagsrealität!!, Die Aufklärer forderten, daß die »Sozietätsfahne mit der Pfarrfahne
identisch sei«, d.h. es sollte keine prestigeträchtigen Sonderutensilien mehr geben!?
Damit war das Ende dieser Form von Labara angekündigt; seine »Erfinder«, die
Jesuiten, gab es schon seit 1773 nicht mehr. Woher aber haben sie die eigentümliche,
bienenkorbartige Gestalt und steife Machart herbezogen? Ich schätze aus China, wo
sie bekanntlich frühe Missionsversuche starteten. In einem japanischen Buch über die
»Sehenswürdigkeiten« der chinesischen Ch’ing-Dynastie (1644-1911 n.Chr.) mit
Abbildungen aus dem 17. Jahrhundert, tauchen reihenweise Ehrenschirme von ver-
wandtem Aussehen auf!?.
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Verwirrender allerdings stellt sich eine parallele Begriffserweiterung des Wortes
Labarum im Prozessionswesen des Barock dar. Am Endpunkt der Entwicklung —
nach Abgang der oben beschriebenen »jesuitischen« Labara — definiert ein Fremd-
wörterlexikon 1806 sub voce Labarum: »eine Umzugsfahne (in der römischen Kir-
che); die Fahne Konstantin’s des Großen«!*; und wir dürfen interpretieren: »Feldzei-
chen besonderer Art«, nämlich doppelseitig bemalte Tafeln oder Fahnen, die den
nachfolgenden Programmpunkt von Bilderprozessionen ankündigen, etwa durch ty-
pologische Darstellungen biblischer Ereignisse mit alttestamentlichem Vorbild auf
der einen und neutestamentlicher Erfüllung auf der anderen Seite. In Dingolfing z.B.
hängt solch ein Gemälde mit Passionsszenen heute gerahmt in der Kirche, trägt aber
noch den einstigen Funktionsnamen Labarum**, Die Spielprozessionen des Barock
an Karfreitag und Fronleichnam mit »Figuren« (lebenden Bildern auf Wagen) und
»Bildern« (Statuen auf Traggestellen, sogenannten Fercula) waren in gleich organi-
sierte thematische Abschnitte unterteilt, die Kerzen- und Laternenträger begleiteten
und die jeweils von Fahnen, Standarten und Labara angeführt wurden. Letztere
meinten hier Themenfahnen in Standartenform. Einige Beispiele mögen das verdeut-
lichen.
Die Corpus-Christi-Bruderschaft in Rosenheim (1609-1784) arrangierte jährlich
zwei große Spielprozessionen!*, Für das Jahr 1637 sind auf Karfreitag für die »Erste
Figur des Ölbergs« vierzehn Positionen vermerkt: »1. Zween auß der Bruederschafft
in rothen söckhen 2. zween mit laternen. 3. Daß grosse Labarum des Ölbergs...«. Als
u Zur Geschichte des Bestattungswesens in Wien. Im Dienste der Gemeinschaft 1907-1982.
Wien 1982, S. 177 mit Kupfer des Bischofshofes bei St. Stephan: auf der Straße eine Leichen-
prozession.
2. MaAUsseER (wie Anm. 9), II, S. 223 zum Kap. 17 »Über die Bruderschaften«, hier nach dem
Hirtenbrief des Bischofs von Pistoja 1784.
» Hg. von OKADA TAMAYAMA in Kyoto/Edo 1806. Frdl. Mitt. u. Fotokopien von Frau Dr
GABRIELE GAULER, M.A., Alzenau.
4 DerTRı, FRIEDRICH ERDMANN: Handbuch der Fremdwörter. 1. Aufl. Gera 1806, 19. Aufl.
1896.
5 Frdl. Mitt. von Dr. Frırzz MArKMILLER, Dingolfing.
‘6 WıriL, FrıDo: Prozessionsspiele der Corporis Christi-Bruderschaft. Rosenheim 1609-1784
In: Bayer. BIl. f. Vk. 11 (1984) H. 1, S. 3-22.