Volltext: Zeitschrift für Ethnologie der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde und der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, 115.1990

  
  
     
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
    
Buchbesprechungen 315 
schen Tabakgebrauchs dar. Er ist eine Synthese älterer zusammenfassender Arbeiten, der weit- 
verstreuten ethnographischen Einzelbefunde (Wilbert hat weit über tausend Titel als Belege 
herangezogen) und früherer Aufsätze Wilberts selbst. | 
Das kurze erste Kapitel erklárt Verbreitung und Biologie der drei wildwachsenden Unterar- 
ten von Nicotiana (N. tabacum, N. rustica und N. petuinoides) und deren Kultivation — v. a. 
durch indianische Pflanzer Südamerikas. 
Nach einem Abriß der frühesten europäischen Berichte über indianischen Tabakgebrauch 
werden im zweiten Teil die Methoden des Tabakkonsums in Südamerika behandelt: das Tabak- 
Kauen und das gewöhnlich ebenfalls als „Kauen“ bezeichnete Aussaugen einer Tabakrolle (bei 
56 Ethnien), das Trinken von Tabakwasser (64), das Lecken von ambil (eines durch Auskochen 
der Blätter gewonnenen sirupartigen Extrakts) (16), das Schnupfen von rape (pulverisierten Ta- 
baks) (53), das Rauchen (233) und die Verwendung von Klistieren zur Verabreichung von Ta- 
bakwasser (2). Sorgfältig erstellte Verbreitungskarten und tabellarische Zusammenfassungen 
der Angaben zu den diversen Konsumptionsweisen schließen die Unterkapitel jeweils ab. Im 
dritten Kapitel über die Pharmakologie des Alkaloids Nikotin werden dessen gastrointestinale, 
perkutane, respiratorische und okulare (!) Absorption erläutert. Das Schlußkapitel resümiert, 
daß und wie Nikotin auf das Nervensystem einwirkt und physiologische und psychologische 
Effekte hat, die die zentralen Konzepte eines schamanischen Weltbilds bestätigen und stützen. 
Tatsächlich findet Wilbert für nicht wenige der mit dem Tabakgebrauch zusammenhängen- 
den Vorstellungen eine in der „Natur der Sache“ begründete Erklärung: So muß das häufige 
Vorkommen „wilden“ Tabaks in der Nähe von aufgegebenen Wohnplätzen oder von Gräbern 
in Verbindung mit der Assoziation von Ahnen(-geistern) und Tabak gesehen werden. Der sich 
dieses Tabaks bedienende Schamane betont so seine Mittlerfunktion. 
Von den Akawaio werden die „Flecken“ auf den Tabakblättern mit denen des Jaguarfells 
verglichen, und die Verwendung dieser Tabakvarietät durch den Schamanen fügt sich ın den 
Schamane-Jaguar-Komplex. 
Die Effizienz des Nikotins als Insektizid und Antihelminthikum und sein gezielter Einsatz 
durch den Schamanen haben sicher ebenfalls zu seinem Ruf als Panazee beigetragen. 
Die Vorstellung vom Schamanen als „Regler“ von Temperaturen kann sehr wohl in assozia- 
tiven oder sogar ursächlichen Zusammenhang mit dem therapeutischen Einsatz von Tabak (in 
Form von Umschlägen oder Rauch) zur Herabsetzung der Körpertemperatur von Patienten ge- 
bracht werden. Wilbert verkennt dabei keineswegs die symbolische Bedeutung schamanischen 
„Beblasens“ mit Tabakrauch, die mit der verbreiteten Vorstellung einhergeht, daß sich die Scha- 
manenkraft im Atem manifestiert. 
Schliefllich wird auf den Zusammenhang zwischen der Beobachtung von Nikotinabhángig- 
keit und der Vorstellung der venezolanischen Warao hingewiesen, nach der die Gótter (deren 
Speise Tabakrauch ist) zu ihrer Ernährung des Tabak opfernden Schamanen bedürfen, der mit 
dieser Pflanze also über ein wirksames Machtmittel verfügt. 
Wilbert gibt noch weitere interessante Beispiele für das von ihm so genannte „natural model- 
ing“. Es gehört zu den großen Vorzügen dieser Studie, daß der Autor nach diesen Befunden 
dennoch nicht in eine zu empiristisch-biologistische Erklärungs- und Argumentationsweise 
verfällt. Hier wird den biologischen und pharmakologischen Aspekten des Tabakkonsums die 
gebührende Beachtung geschenkt — mehr nicht —, und Wilbert schreitet nach minutiöser Klä- 
rung der grundlegenden natürlichen Determination zur Deskription der kulturspezifischen 
Elaborationen des „tobacco shamanism“ fort, um dann Gesamtbeurteilung und Interpretation 
des Komplexes in seinem kulturellen Kontext anzubieten.
	        
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