Zeitschrift für Ethnologie 115 (1990)
hauptsächlich durch Jagen, Sammeln und Subsistenzfeldbau gekennzeichneten Ökonomie
(S.54ff.) zur Lohnarbeit und den entsprechenden Abhängigkeiten hin vollzogen wurde. Als
herausragende Reaktion auf diese Verhältnisse sowie auf den gesamten Verlauf ihrer Geschichte
— vom Sklaventum mit der Entfremdung von den afrikanischen Traditionen über die Gewäh-
rung der vermeintlichen Freiheit in der republikanischen Epoche Iberoamerikas bis hin zu den
modernen Formen von Dekulturation — arbeitet S. das gleichermaßen auf Widerstand gegen und
Anpassung an die dominante Gesellschaft national-ekuadorianischer Prägung ausgerichtete
Verhalten der Afroesmeraldener heraus (S. 38ff. u. S. 66ff.). In der Gegenwart der in urbanen
Siedlungen lebenden Schwarzen liegt der Schwerpunkt allerdings deutlich auf dem Aspekt der
Anpassung, und der Widerstand reduziert sich auf Marginalien wie gelegentliche Arbeitsver-
weigerung oder die partielle Beibehaltung von Elementen der ruralen Sozialstruktur, die vor-
nehmlich durch das Prinzip der Reziprozitát bestimmt ist (S. 78ff.). Den ersten Teil beendet die
Autorin mit einem Überblick über afroesmeraldenische Seelenvorstellungen und Weltanschau-
ung sowie mit einem Hinweis auf deren Bedeutung für ein Fortbestehen (selbstbestimmter) kul-
tureller Kontinuitát im aktuellen (fremdbestimmten) Wandel (S. 81ff. u. S.101).
Für die im ersten Teil aufgrund genereller Analysen schon gewonnenen zentralen Erkennt-
nisse führt S. im zweiten Teil gleichsam den “empirischen” Beweis. Anhand ihrer (“dichten”)
Beschreibungen von vier verschiedenen Totenriten — anläßlich des Todes eines Erwachsenen, ei-
nes Kindes, des Allerseelenfests und des Karfreitags — und deren anschlieRender Interpretation
(den Modellen van Genneps und V. Turners folgend) wird deutlich, daf es den Afroesmeralde-
nern bei ihrer Form der Behandlung des Todes gerade um eine Aufwertung des Lebens und eine
Reorganisation der sozialen Realität geht (S. 126f., S. 152 u. 6.) — und eben nicht um die christli-
che Verkehrung dieser Orientierung, nämlich der am Jenseits als vermeintlich eigentlicher
Wirklichkeit (S. 140). Hierin sieht S. die originäre Haltung der Afroesmeraldefier (vgl. S. 171),
wenn auch spanisch-christliche, afrikanische und selbst indianische Wurzeln nicht geleugnet,
allerdings als sekundär erachtet werden (S. 117 ff.). Steht bei den Riten anläßlich des Todes eines
Erwachsenen, den “Velorios” und “Novenarios”, der Versuch der Gesellschaft im Vorder-
grund, den Rif im sozialen Netz zu flicken und neue Reziprozitätsbeziehungen herzustellen
(S. 123 ff.), präsentieren sich die “Chigualos” zum Tode eines Kleinkindes eher als punktuelle
Darstellungen und Bestätigungen bestehender, durch das Ableben eines noch nicht aktiv in der
sozialen Gemeinschaft handelnden Wesens kaum gefährdeter gesellschaftlicher Strukturen
(S. 136ff.). An den Riten zu Allerseelen wird deutlich, daß die Afroesmeraldener ihr Verhältnis
zu den Verstorbenen ebenfalls als Reziprozitátsbeziehungen verstehen (S. 172), Jenseits und
Diesseits mithin ebenso wie Vergangenheit und Gegenwart aufs Engste vernetzen (S. 140ff.).
Schliefllich vereinigt das Karfreitagsfest alle genannten Aspekte, wobei ihm jedoch insofern eine
spezifische Bedeutung zukommt, als daß Tod und Auferstehung Christi — für die Afroesmeral-
dener ein (allerdings besonderer) Heiliger unter Heiligen (S. 161) — nicht im christlichen Sinne
verstanden werden, sondern wiederum als eine symbolisch formulierte Aufwertung der diessei-
tigen Existenz: “menschliches Leben, nicht allgemein menschliches, sondern afroesmeralde-
hisch strukturiertes, hat seine Wertigkeit als solches und bezieht diese nicht aus der Nachah-
mung religiós vorgestellter Leitbilder bzw. -personen" (S. 165). Zum Abschluß wirft S. noch ei-
nen vergleichenden Blick auf die urbanen Varianten der gleichen Riten und kommt zu dem
Schluß, daß zwar der Akkulturationsdruck einer inhaltlichen Entleerung der tragenden religió-
sen Konzepte Vorschub leistet, daß aber gleichzeitig immer noch genug traditionelle Deutungs-
muster inszeniert werden, um im sozio-ókonomischen Transformationsprozefi einen Raum für
das Fortbestehen der überkommenen kulturellen Identitát offenzuhalten (S. 173 ff.).