Zeitschrift für Ethnologie 115 (1990)
ganisation der Wallfahrtsbetriebe, die er als gut bis hervorragend einstuft, und die hierarchisch
aufgebaute Verwaltung. In anderen Arbeiten über Heiligenverehrung in Indo-Pakistan fast im-
mer vernachlässigt, erfahren wir hier Genaueres über den Unterhalt der langar (Freikiiche) bis
hin zu den Mengen an verschiedenen Nahrungsmitteln, die für die Zubereitung der Speisen be-
nötigt werden. Exemplarisch werden für Golra Sharif auch die jährlichen Einnahmen und Aus-
gaben des Schreins aufgelistet (S. 31£.). Bei allen drei Wallfahrtsorten gibt Einzmann einen mit
Hilfe von Planskizzen verdeutlichten Überblick über die Anlage der Schreine, die angeglieder-
ten Bazare und die dort ansässigen Gewerbe.
Die Beschreibung des Heiligenschreins von Barri Imam in Nurpur (S. 37) hat insofern einen
besonderen dokumentarischen Wert bekommen, als sie mittlerweile einen bereits historischen
Zustand wiedergibt. In den Jahren 1982/83 wurde ein Teil des Geländes auf Betreiben des
Augqaf-Departments planiert und dabei kleinere Bauten entfernt, u. a. ein Gebäude, in dem
sonst ständig ein heiliges Feuer unterhalten wurde, sowie die Bazarläden zwischen dem Haupt-
grab und dem des Khalifa Sakhi Husain Shah. Einzmann hat dieses Bauvorhaben bereits ange-
deutet (S. 45). Attraktiver ist der Schrein dadurch nicht geworden, er hat viel, wenn nicht alles
von seiner früheren Atmospháre verloren. Grund für diese Maftnahmen seitens des Auqaf-De-
partments war das Bemühen in der Zeit Zia ul-Haqs, die Heiligenverehrung und dabei vor allem
die Feste *von allen nichtislamischen Auswüchsen zu reinigen" (S. 56) und Bettler und Derwi-
sche vom inneren Schreinbezirk fernzuhalten. Wie mir der pakistanische Archáologe Prof.
A. H. Dani mitteilte, war der Gesamtanlage des Schreins in den Jahren 1972/73 noch deutlich
anzusehen, daß das Heiligtum auf den Grundmauern eines buddhistischen Klosters mit Stupa
errichtet worden war. Damals wurde bei der Verehrung Barri Imams noch ein steinernes Stupa-
Modell geküßt.
Wertvoll sind Einzmanns Angaben über zum Teil weniger bekannte Details und Besonder-
heiten volkstümlicher Frömmigkeit. So berichtet er z. B. bei Barri Imams Heiligtum über die
weitere Verwendung der gespendeten Grabtücher (S. 47, 51), die Zeremonie des ersten Haare-
schneidens am Schrein (S. 52) und die Prozession anláfllich des ‘urs (Heiligenfestes) von Pesha-
war nach Nurpur (S. 56-58, mit Angabe der Wegstationen). Die Untersuchung des Pilger- und
Prozessionswesens stellt überhaupt eine sehr lohnenswerte künftige Forschungsaufgabe dar.
Welch wichtige Rolle Baume in der Heiligenverehrung der Potohar-Region spielen, zeigt u. a.
ein Hinweis auf den grofien Banyan-Baum neben dem Grabmal Barri Imams (S. 37, 51), zwi-
schen dessen Luftwurzeln sich Frauen mehrere Male hindurchzwángen, um Kindersegen zu er-
bitten oder von Krankheiten geheilt zu werden.
Der Autor hat sein Material generell sorgfältig aufbereitet und systematisch dargestellt.
Trotzdem erscheinen einige Zusatzerklärungen und kritische Anmerkungen zu Einzelheiten
notwendig. Bei der Beschreibung des Wallfahrtsortes Nurpur vermißt man das Grab Baba Sain
Khans, das westlich an einem Abwasserkanal hinter der Bazarstraße liegt. Das von Einzmann in
Zusammenhang mit dem balaka-Brauch erwähnte Rasieren der Kopf- und Gesichtshaare des
Kandidaten (S. 52 u. Photo), der damit zum Diener seines geistlichen Führers wird, ist charakte-
ristisch für die Initiation des Derwischs in dem auf dem indo-pakistanischen Subkontinent ver-
breiteten Jalaliya-Orden; auch dort wird eine Locke (chonti) auf dem rechten Hinterkopf ste-
hengelassen. Eines der Photos im Anhang zeigt lt. Bildunterschrift einen Kretin. Es handelt sich
jedoch nicht um Kretinismus auf Grund einer Schilddrüsenstórung, sondern um Microzephalie.
Die wenig erklàrende Bezeichnung ,Daolas Máuschen* erfordert auch keinen Diminutiv, da
chühä 1n Urdu einfach Ratte bedeutet. Die microzephalen sog. „Ratten“ des Heiligen Shah
Daula Faqir Gujrati leben an dessen Schrein in dem Dorf Shah Daula am Dek-Flufi bei Gujrat.