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Buchbesprechungen
von Taudits, die Lineage werde niemals sterben, die seine zur Seite zu stellen: ,Staaten haben
kein Entstehungsdatum.* Bekannte Namen berechtigen zu Privilegien. So hat der Herausgeber
offenbar Terray gestattet, ein blofles Vortragsmanuskript zur Ãbersetzung und Publikation
einzureichen, ohne auch nur eine Bibliographie hinzuzufügen. Eine solche wáre wünschens-
wert gewesen, da Terray zahlreiche Autoren zitiert, deren Arbeiten nicht als bekannt vorausge-
setzt werden kónnen.
Michel Izard befaÃt sich in seinem Beitrag ,Besiedlungsgeschichte und Diachronie: Das
Mooga-(Mossi-)Kónigreich von Yatenga (Burkina)* mit Ãberlagerungsbeziehungen zwischen
den Trägern der Macht und den âHerren der Erdeâ sowie beider Verhältnis zu Berufsgruppen
mit ethnischer Sonderstellung wie Schmieden und Händlern. Das Schillern des Begriffs âAuto-
chthonieâ wird aufgezeigt, der eben nicht für ur-erste Besiedlung steht (wie sollte man die auch
ermitteln?), sondern für das Verhältnis der zum Zeitpunkt der Eroberung Vorgefundenen zu
den neuen Herrschern.
Der Beitrag von Elisabeth Copet-Rougier âVom Clan zum Häuptlingstum. Diachronische
Untersuchungen der politischen und verwandtschaftlichen Systeme in akephalen Gesellschaf-
ten Kamerunsâ befaÃt sich mit den Gbaya und Mkako, die im 19. Jh. von den vordringenden
Fulbe aus der heutigen Zentralafrikanischen Republik verdrängt wurden. Dadurch ausgelöste
Neugruppierungen und politische Reaffiliationen finden ihren Ausdruck auch in Sozialstruktu-
ren und im Heiratsverhalten. Copet-Rougier argumentiert hier auch mit den statistischen Häu-
figkeiten von Ehen zwischen verschiedenen Gruppen und zwischen bestimmten Verwandt-
schaftstypen. In noch stärkerem MaÃe tun dies die beiden folgenden Beiträge: der von Edouard
Conte und der von Pierre Bonte.
Contes Aufsatz âHeiratsdynamik und politischer Wandel in Kanem (Tschad)â analysiert
anhand eines eindrucksvollen statistischen Materials (eine Totalerhebung aller je von heute le-
benden Personen oder deren Eltern eingegangener Ehen im Gebiet eines bestimmten Klans: 23
Dörfer mit 1314 Einwohnern, plus 311 Ehen in einer anderen Bevölkerungsgruppe zum Ver-
gleich) die sich in Heiratsbeziehungen ausdrückenden politisch-sozialen Beziehungen zwischen
den Schichten in dieser stark hierarchisierten Gesellschaft und zwischen Segmenten innerhalb
dieser Schichten. Durch die zwei Generationen umfassende zeitliche Tiefe lassen sich die sich
wandelnden Allianzen aufzeigen, die sich zu politisch-historischen Entwicklungen auf höherer
Ebene in Beziehung setzen lassen: im Unterschied zum klassischen Gleichgewichtsmodell wird
hier eine diachrone Dynamik von hierarchisierten Lineage-Systemen aufgezeigt.
Bontes Beitrag âKrieger und Reuige. Die Towba und die politische Entwicklung der Mauri-
schen Emirateâ befaÃt sich mit der Reue als im sufistischen Islam zentralem Glaubensakt, geht
dann aber über zur sozial-strukturellen und politisch-historischen Analyse dieses Vorgangs, der
ihn in ganz anderem Licht erscheinen läÃt.
Die âReueâ (Towba) beinhaltet den Verzicht auf das Waffentragen und die Abkehr vom Eh-
renkodex der Kriegerschicht. Während in den Familiengeschichten der âreuigenâ Segmente sel-
ber die Reue der aus der Kriegerschicht ausgeschiedenen Vorfahren als religiöse Bekehrungser-
lebnisse untadeliger Heldengestalten gedeutet wird, zeigt die Analyse der Machtkämpfe in den
Emiraten auf, daà es Unterlegene waren, die Morde an den Ihren nicht mehr zu rächen in der
Lage waren, die den Verzicht auf den Kriegerstatus und die religiöse Aura der Reuigen als Zu-
flucht wählten. Anhand von Heiratsstatistiken wird aufgezeigt, daà hiervon betroffene Seg-
mente es zunehmend schwieriger fanden, auÃerhalb der eigenen Abstammungsgruppe in der
Kriegerschicht Heiratsallianzen einzugehen und daher zu vermehrter Endogamie oder Hypo-
gamie gezwungen waren. Besonders gelungen ist in diesem Beitrag die kontrastive Darstellung