Miszellen
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Anthropos 92.1997
Die 10 Gebote der Feldforschung
1. Du sollst einigermaßen nach jenen Sitten und
Regeln leben, die für die Menschen, bei denen du
forschst, wichtig sind. Dies bedeutet Achtung ihrer
Rituale und heiligen Zeiten, sowohl in der Kleidung als
auch beim Essen und Trinken. - Si vivis Romae Romano
vivito more!
2. Du sollst zur Großzügigkeit und Unvoreingenom-
menheit fähig sein, um Werte zu erkennen und nach
Grundsätzen zu urteilen, die nicht die eigenen sind.
Erzähle und berichte niemals abfällig über deine Gastge
ber und jene Leute, mit denen du Bier, Wein, Tee oder
sonst etwas getrunken hast.
3. Du sollst die Natur lieben, und damit auch die
menschliche Natur. Beide können überall schön und
ungemein reizvoll sein. Du kannst dich an beiden
erfreuen.
4. Du sollst dir ein solides Wissen über die Geschich
te und die sozialen Verhältnisse der dich interessierenden
Kultur aneignen. Suche daher zunächst deren Friedhöfe,
Märkte, Wirtshäuser, Kirchen oder ähnliche Orte auf.
5. Du sollst dir ein Bild von der Geographie der
Plätze und Häuser machen, auf und in denen sich
das Leben abspielt, das du erforschen willst. Gehe zu
Fuß die betreffende Gegend ab und steige auf einen
Kirchtum oder einen Hügel.
6. Du sollst, um dich von den üblichen Reisen
den zu unterscheiden, das Erlebte mit dir forttragen
und darüber unvoreingenommen berichten. Daher ist es
wichtig, ein Forschungstagebuch (neben den anderen
Aufzeichnungen) zu führen, in das du dir jeden Tag
deine Gedanken, Probleme und Freuden der Forschung,
aber auch den Ärger bei dieser einträgst. Dies regt
zu ehrlichem Nachdenken über dich selbst und deine
Forschung an, aber auch zur Selbstkritik.
7. Du sollst die Muße zum ero-epischen (freien)
Gespräch* aufbringen. Das heißt, die Menschen dürfen
nicht als bloße Datenlieferanten gesehen werden. Mit ih
nen ist so zu sprechen, daß sie sich geachtet fühlen. Man
muß sich selbst als Mensch einbringen und darf sich
nicht aufzwingen. Erst so lassen sich gute Gesprächs
und Beobachtungsprotokolle erstellen.
8. Du sollst dich bemühen, deine Gesprächspartner
einigermaßen einzuschätzen. Sonst kann es sein, daß du
hineingelegt oder bewußt belogen wirst.
9. Du solltst dich nicht als Missionar oder Sozialar
beiter aufspielen. Es steht dir nicht zu “erzieherisch” auf
die vermeintlichen “Wilden” einzuwirken. Du bist kein
Richter, sondern lediglich Zeuge!
10. Du mußt eine gute Konstitution haben, um dich
am Acker, in stickigen Kneipen, in der Kirche, in noblen
Gasthäusern, im Wald, im Stall, auf staubigen Straßen
und auch sonstwo wohl zu fühlen. Dazu gehört die
Fähigkeit, jederzeit zu essen, zu trinken und zu schlafen.
* Den Begriff “ero-episches Gespräch” habe ich in
Anlehnung an Homers “Odyssee” entwickelt. In der
“Odyssee” fragt stets einer und ein anderer erzählt,
wobei sich jeder von beiden in das Gespräch einbringt
- dabei wird getrunken und gescherzt. Den Begriff
Interview finde ich schlecht, denn er entstammt der
Journalistensprache. Als Zögling des Klostergymnasi
ums zu Kremsmünster lernte ich sechs harte Jahre lang
Altgriechisch. Hiebei ist zu erwähnen, daß ich mich als
wahrer Altphilologe im besten Sinne des Wortes sehe.
Das heißt, ich brachte Liebe (cpiÄO^ der Freund, der
Liebhaber) für das alte Griechisch auf, ohne deswegen
ein guter Schüler gewesen zu sein. So erfreuten und
erfreuen mich besonders die Schriften Homers, derart,
daß ich jetzt auf diese zurückgriff. Schließlich erfährt
der Kulturwissenschafter eine Menge aus der “Odys
see” über das Leben im Alltag der Antike. (Im Wort
ero-episch stecken folgende altgriechische Vokabeln:
epcoxdco fragen; BÜtOV [def. aor. 2 zu Äeyco]; £7lO<;
reden, mitteilen; Erzählung.)
Roland Girtler
Inscribing the Mask. Interpretation of Nyau
Masks and Ritual Performance among the Chewa of
Central Malawi (Laurel Birch de Aguilar). - The book
presents original research of Nyau masks among the
Chewa people in the central region of Malawi. Masks
are created and performed by members of the Nyau
society, a secretive society extending throughout the
central and southern regions of Malawi and contiguous
areas of Mozambique and Zambia. Masks are performed
for the community ritual events: funerals, initiations,
consecration of the community ritual space for a new
Chief, and funeral remembrances.
The book is framed theoretically by the work of
Paul Ricoeur in interpretation and metaphor. The case
is made that masks are social phenomena subject to
a text-interpretation, or hermeneutical method of inter
pretation. Combined with this framework is the cen
tral recurring theme found throughout each chapter and
interpretation of masking: the theme of the living, the
dead, and the hope of rebirth in the exegesis of the
masks.
Each chapter takes a perspective on masks and
masking, including performance, masks in social roles
and community, historical experience, the making of
masks, ritual and religious beliefs; culminating in an
overall cosmological interpretation of Chewa masks and
Chewa society.
The book attempts to demonstrate that Chewa masks,
with all the inherent conflicts, diversities, and differ
ing local understandings, present a totality, a whole
ness of society. This wholeness is shown to be con
strued from the myriad details which make up masking,
accounting for change and adaptation while asserting
a continuity in the central theme. - ([Studia Instituti
Anthropos, 47] Fribourg: University Press Fribourg
Switzerland, 1996. ISBN 3-7278-1064-5. 280 pp„ pho
tos. Price: sfr 65.-)