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ADOLF BASTIAN UND DIE
HEUTIGE VÖLKERKUNDE
ZUM GEDÄCHTNIS SEINES
HUNDERTJÄHRIGEN GEBURTSTAGES
AM 26. JUNI 1926
VON
K. TH. PREUSS.
MIT 1 TAFEL.
Was du ererbt von deinen Vätern hast
Erwirb es. um es zu besitzen.
Adolf Bastian ist der geistige Schöpfer des Staatl. Museums für Völkerkunde in Berlin,
das am 18. Dezember dieses Jahres 40 Jahre seit seiner Eröffnung besteht. Bei der Gedächt
nisfeier, die gelegentlich seines Hinscheidens am 3. Februar 1905 in der Sitzung der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte vom n. März desselben Jahres
stattfand, ist auch festgestellt worden, daß er der eigentliche Begründer der Gesellschaft 1869
gewesen ist, und daß ihr Organ, die Zeitschrift für Ethnologie, ebenfalls von ihm, und zwar
bereits 1 Jahr früher ins Leben gerufen wurde. Es könnte vielleicht als das Natürlichste von
der Welt erscheinen, daß der Mann, der 1868 als Direktorialassistent für die ethnologischen
und prähistorischen Sammlungen an die Kgl. Museen berufen und 1876 zu ihrem Direktor
ernannt wurde, auch den Ausbau der Völkerkunde in die Hand nahm, nachdem sich bereits
■um die Mitte des Jahrhunderts in andern Ländern Gesellschaften zur Pflege der neuen
Wissenschaften der Anthropologie und Ethnologie zu bilden begonnen hatten und das Werk
von Georg Waitz, Anthropologie der Naturvölker, 1859—62, das Interesse dafür auch in
Deutschland erweckt hatte. Allein diese Anfänge bedeuteten noch keine fest umrissene
Wissenschaft und kein sich von selbst ergebendes Gedeihen. Erst Bastian hat für die Völker
kunde bis weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus den sicheren Grund gelegt, wie
wir ihn heute vor uns sehen.
Als äußeres Kennzeichen und Symbol seiner Erfolge in der gesamtenVölkerkunde er
scheint uns sein als erstes auf europäischem Boden errichtetes „Rettungsasyl“ für die
Kunde vom Menschen, das in stürmischer Aufwärtsbewegung zur bedeutendsten, gleich
mäßig alle Völker des Erdballs umfassenden Vorburg der neuen Wissenschaft wurde. Um
diese Leistung richtig würdigen zu können, muß man bedenken, daß sie in einem Staate voll
bracht wurde, der im Beginn keine Kolonien besaß und daher keinen unmittelbaren Anlaß
verspüren konnte, sein Interesse den primitiven Völkern zuzuwenden. Schon 1881 waren die
im „Neuen Museum“ für die ethnologischen Sammlungen zur Verfügung stehenden Aus
stellungsräume von etwa 750 qm Flächenraum so überfüllt, daß zahlreiche Teile nicht mehr
gezeigt werden konnten, und bei Bastians Tode 1905, wo wohl das Fünffache des Bestandes -
von 1881 auf einer Fläche von etwa 6000 qm erreicht war, wäre bereits wieder ein Neu- oder
Erweiterungsbau des Museums für Völkerkunde notwendig gewesen. Zu dieser beispiellosen