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22. Vom Büchertische.
Das niederdeutsche Schauspiel. „Zum Kulturleben Hamburgs.“
Von Karl Theodor Uaedertz. Neue, um zwei Vorworte vermehrte Ausgabe.
2 Hände. Hamburg 1894. Verlaganstalt und Druckerei A.-G. (vormals J. F.
Richter). 8 Mk.
Dieses alte Buch in neuem Gewände zeige ich mit aufrichtigem Vergnügen
an und möchte sogar den Lesern des „Ur-Quell“ seine Kenntnisnahme recht an-
raten, wenn sie neben den unvermischt volkmässigen Zeugnissen auch der mit
künstlerischen Absichten erhobenen Volkdichtung ihr gutes Recht nicht verkümmern
wollen. 1 ) Wir erhalten hier eine wirklich gediegene Gabe, die jedem Freunde
mundartlich populärer Poesie helle Freude bereiten muss. Der Verfasser ist zur
Lösung seiner schwierigen Aufgabe vor andern berufen; denn er ist geborener
Lübecker und hat sich trotz des anderthalb Jahrzehnts, das er nun in der nivel
lierenden Reichshauptstadt amtirt, sein echt plattdeutsches Fühlen bewahrt.
Andernteils aber erscheint er auch vollauf gerüstet zu seinem mutigen Beginnen,
mit einem starken Pack von bekanntem und selbst entdecktem Material, das er
recht zu gruppieren und zu verarbeiten und in die alleweil angemessene Form zu
fügen weiss. Die beiden Bände spalten die Geschichte des niederdeutschen Dramas,
das, namentlich in der Neuzeit, fast nur auf Hamburger Bühnen Beachtung und
Pflege genoss (daher der etwas irreleitende Nehenartikel), in einen Abschnitt „bis
zur Franzosenzeit“ und einen, der „die plattdeutsche Komödie im 19. Jahrhundert“
bei iihrem leider, stets so wenig nachhaltigen wiederholten Aufleben begleitet.
Gaedertz’ höchst anmutig geschriebene und doch dabei im Ernst der Wissenschaft
wurzelnde Darstellung der schwankenden Schicksale seines muttersprachlichen
Theaters trat zuerst 1884 hervor und wurde damals verdieutcrmassen von gewissen
haften Kritikern, wie von seinen engen Landsleuten, die doch zunächst zu Gericht
sitzen dürfen, freundliclist, vielerorts sogar mit Begeisterung begrüsst. Man
muss darob sehr bedauern, dass die, wie er meint grundsätzliche und absichtliche,
Missgunst einer Fachmännergruppe ihn von der geplanten Ergänzung des allerdings
in den Grundfesten sichern Baues abgehalten hat. Diese unerfreuliche Stimmung
kommt in dem ersten der beiden neuen ausführlichen Vorworte zum Ausdruck;
wir gehen hier lieber darüber weg und weiden uns statt dessen an dem Ver
sprechen des zweiten, vielerlei reizvolle Dinge nach frischen Funden künftig zum
Besten zu geben. Im Uebrigen wünschen wir dem unermüdlich und redlichst
thätigen Dr. Gaedertz eine ununterbrochene Arbeitslust wie bisher, damit seine
fruchtbare Feder nicht ermatte, uns mit solch inhaltlich unanfechtbaren und
überaus förderlichen, daneben herzerfreuenden Kapiteln zu begrüssen wie diese
erste und einzige Geschichte des niederdeutschen Dramas. Er büsse aber, trotz
aller Aergernisse, auch die fröhliche Laune nicht ein, die ihn allein zur Vollendung
der zwei nach ihrer Art mustergiltigen Bände befähigte und die, vermischt mit
reifer Lebenskenntnis und strenger Naturtreue — die lauscht man eben bloss dem
Volkgemüt ab — auch in seinen „plattdeutschen Gedichten ernsten und heitern
Inhalts“ (,Julklapp! Reeder un Läuschen von Karl Theodor Gaedertz 1 ; soeben
„zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage“ im seihen Verlage) häufig genug
durchbricht. Ohne Enttäuschung blühe ihm dann noch das hohe Ergötzen, sein
geliebtes ,niedersächsisches' Volkstück siegreich oft und öfter über die weltbe
deutenden Bretter der alten Hansestädte schreiten zu sehen! Dazu kräftig zu
wirken, erscheint sein schönes Buch in erster Reihe veranlagt. F—1.
J ) Ich bin arg verwundert, dass unser so kundiger Mitarbeiter Dr. 0. Glöde
in seinem sonst stoffreichen Aufsatze „Die Stellung des niederdeutschen Dialekts
und seiner Werke zur hochdeutschen Schriftsprache und Litteratur“ (Hildebrand —
Festschrift der „Zeitschr. f. d. dtscli. Unterricht“, 1894, S. 35—61) Gaedertz’ Buch
und das Drama überhaupt gänzlich übersieht.
Herausgeber: Dr. Friedrich S. Krauss, Wien VII/2. Neustiftgasse 12.
Verwaltung in Lunden in Holstein.
Druck von Diedr. Soltau in Norden.