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Jahrmärkten feil gehalten oder von Hausierern verkauft wurden,
weise ich nur hin. Ich habe eine Vermutung, dass allerlei kolorierte
Bilder sowohl zu Verbreitung als zu Bildung neuer Sagen das ihre
beigetragen; eigne Erfahrungen und Kenntnisse reichen nicht hin,
ich habe nur Vermutungen.
Alles ist jetzt anders, die Gesellschaft ist in Umwandlung be
griffen; Zeitungen, Politik, öffentliche Vorträge nehmen Interessen
und Gedanken gefangen. Wenn jetzt von der Verbreitung von Volk
märchen zu reden sein wird, müssen die mannigfaltigen Märchen
sammlungen und Kinderbücher mit in Betracht gezogen werden. In
einer Schule, wo ich damals in einer Stadt angestellt war, war es
Sitte (1865) dass es den Kindern erlaubt war in den letzten Lese
stunden vor Weihnachten allerlei zu erzählen. Ich lauschte den
Kindern sehr aufmerksam zu, aber unter den vielen Märchen kein
einziges, dass nicht irgend einer gedruckten Sammlung entstammte.
Neulich habe ich in der englischen Zeitschrift „Folklore“ gelesen, dass,
wenn Douglas Hyde’s, Irish Folktales nach Irland gedruckt zurück
kehrten, würden sie unablässig in grösseren oder kleineren Kreisen
der Pächter von einem lesekundigen Manne vorgetragen. So fängt
manchmal die ursprünglich volktümliche Erzählung einen neuen Lauf,
von einer literarischen Quelle anfangend, an. Ein ergötzliches Bei
spiel einer solchen Neubildung mit gehöriger Umgestaltung führt
Dr. Jahn in der Vorrede (pag. XVI) zu seinen Volkmärchen aus
Pommern an. Ein Dienstmädchen hatte das alte Märchen von
Aladdin mit der Wunderlampe in ihrem Entzücken über die schöne
Geschichte auswendig gelernt; sie erzählte sie in ihrem Heimatdorfe
wieder, wo es gehört und in Erinnerung behalten von dem Hörer
als das schönste Märchen, das er wusste, wiedererzählt ward.
Zug an Zug stimmte es mit dem Originale, aber aus Aladdin war
der rothaarige, ohne Gottesfurcht aufgewachsene Dummhans geworden,
der weder Lesen noch Schreiben, nicht einmal das Vaterunser beten
kann. Aus dem Rockei war ein König Reckei geworden, den er am
Schwibbogen aufhängen lassen wollte. Aehnliches wird sich gewiss
überall wiederholen. Wenn Erzählungen auf literarischem Wege
oder aber durch mündliche Tradition nach einem fremden Volke
überpflanzt werden, ziehen sie die Kleider und Gewohnheiten ihrer
neuen Heimat an. Der Märchenkönig unter meinem Volke trägt
natürlich immer die goldene Krone auf seinem Haupte, sonst ist er
aber ein wohlhabender, nicht zu kluger Bauer, der ausgeht um ein
Schwein zu kaufen, selber seine Dienstleute mietet u. s. w. Sind
nun die Märchen, die in der Neuzeit wohl meistens literarisch ver
breitet worden sind, in einer gewissen Bedeutung des Wortes nicht
echt, wird es doch immer von Interesse sein zu studieren, wie
solche Umbildungen gemacht werden. Ein gewissermassen ganz lehr
reiches Beispiel ist mir in den letzten Tagen durch die Lesung von
Rand’s Legends of the Micmaes aufgefallen; da treffen wir auch hin
und wieder alte Bekannte an, unter ihnen den Schneidersohn Aladdin