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kommen ist, fehlt aber auch in dieser Sammlung ganz, so dass ich
in der Lage bin, noch manches beizubringen’, was, soweit ich weiss,
überhaupt noch nicht gedruckt ist. Es wird sich daher rechtfertigen,
im Folgenden dasjenige zusammenzustellen, was sich über die Bremische
Volkdichtung und das Bremische Kinderspiel noch erhalten hat. Es
wird sich auch rechtfertigen, dabei auch den Inhalt der Smidt’schen
Sammlung, soweit er mir durch mündliche Tradition nicht mehr be
kannt geworden ist, mit heranzuziehen, da diese Sammlung zur Zeit
wohl als für die folkloristische Wissenschaft unzugängig bezeichnet
werden kann.
Es verbindet sich aber mit der Herausgabe dieser Mitteilungen
auch noch ein anderer Zweck. Die Gebiete des Volklebens, welche
im Folgenden berührt werden, gehören zu den allerprimitivsten des
Völkerlebens überhaupt. Sie gehören, vom Standpunkte der Ethnologie
aus betrachtet, Perioden an, die alle dem, was uns durch die Geschichte
überliefert ist, weit voran liegen. Wir haben hier vor Allem eine
Volkdichtung vor uns, welche sich in Formen bewegt, die wir heut
zutage gar nicht mehr kennen und die doch wahrscheinlich den Aus
gangpunkt für die Geschichte der Dichtkunst überhaupt gebildet
haben. Es wird vielleicht möglich sein, einmal eine Vorgeschichte
der Dichtkunst zu erschliessen und das allmähliche Erwachen des
dichterischen Bewusstseins der Menschheit von seinen ersten Augen
blicken an zu belauschen. Eine solche Forschung wird aber nach
induktiver Methode sich am besten anbahnen lassen, wenn man von
einem ganz beschränkten Gebiete ausgeht und dann immer weiter
fortschreitet. Auch nach vielen sonstigen Seiten hin giebt die Volk
dichtung Veranlassung zu wissenschaftlichen Untersuchungen, wie sich
dies aus dem Folgenden hoffentlich mit ausreichender Klarheit ergeben
wird. Es ist zwar sehr Vieles, was hier mitgeteilt werden soll, nichts
weniger als geistreich oder tiefsinnig; aber die Ethnologie hat es auch
keineswegs nur mit den Erzeugnissen der höchsten Kulturschichten
der Völker zu tun, sondern mit allen und nicht zum wenigsten ge
rade mit den niedersten, welche eben die Keimbildungen für die höheren
enthalten. Es ist sehr wohl zu beachten, dass auch in solchen niedern
Regionen des Volklebens sich eine Menge Erbgut vorfindet, welches
hartnäckig festgehalten und von Generation zu Generation überliefert
wird. Wo man aber derartige feste Punkte im Volkleben findet, ist
stets ein Feld für die ethnologische Forschung vorhanden; denn der
artiges Erbgut bezeichnet immer sozusagen eine Knotenbildung im
Organismus des Volkes, von welcher aus neue Ansätze hervorspriessen.
Von diesen Gesichtpunkten aus wird es sich rechtfertigen, vieles in
den Kreis ethnologischer Betrachtung zu ziehen, was mit dem Mass-
stabe unserer heutigen höheren Kultur gemessen, uns als wertlos,
ja zum Teil als albern und fade erscheinen mag.
Es versteht sich, dass die Bremische Volkdichtung und das
Bremische Kinderspiel keinen isolirten Charakter tragen, sondern dass
sie nur ein Zweig der niedersächsischen Volkdichtung, des nieder