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ja, dass vielerwärts auch eine Art prophylaktischer Impfung vorkommt, sei nur bei
läufig erwähnt. Indem wir auf eine detaillirte Wiedergabe des Inhalts verzichten
müssen, möge folgende Uebersicht genügen, den Reichtum des Stoffs zu veran
schaulichen: 1) Die Krankheit (ihr Wesen und psychologische Ableitung in ani-
mistischem Sinne). 2) Die Aerzte (ihre soziale und religiöse Stellung und Beglaubi
gung, Consultationen, Honorare, Amttracht, Studium, Lehrbücher, Rang-Ab
stufungen usw.). 3) Die Diagnostik der Naturvölker (Erkennungmittel, Krankheit
fetische und Amulete, Yerhotzeichen). 4) Die Medikamente und ihre Anwendung
(Beschaffung und Bereitung der Arzneimittel, Einnehmen der Medizin usw.).
5) Die Arzneiverordnunglehre der Naturvölker (Abkochungen und Umschläge, Ein
reibungen, Salben, Pflaster und Pulver, Abführ-, Brechmittel, Inhalationen, Pillen,
Narcotien, das Bepusten und Bespeien, die Impfung). 6) Die Wasserkur (kalte
und warme Bäder, Schwitzkuren, Dampfbäder). 7) Die Massagekuren. 8) Ver-
haltungvorschriften für den Kranken. 9) Die übernatürliche Diagnose. 10) Die
übernatürliche Krankenbehandlung (Opfer und Gebet, die Trommel, Rassel und der
Medizinsack, Heraussaugen der Krankheit, Exorcismus, das Zurückholen der Seele,
die sympathetische Krankenbehandlung usw.). 11) Einzelne Kapitel aus der spezi
ellen Pathologie und Therapie (die Augen- und Ohrenkrankheiten). 12) Die Ge
sundheitpflege und die Epidemien (die private und öffentliche Gesundheitpflege,
Unterbringung und Versorgung ansteckender Kranke, Behandlung Siecher und
Krüppel, Grenzsperre für Seuche, die Vertreibung von Epidemien usw.). 13) Die
kleine Chirurgie (Blutsaugen, Aderlass, Schröpfen, die Behandlung der Abscesse,
Ritual- und kosmetische Operationen). 14) Die grosse Chirurgie (Wundbehandlung,
Blutstillung, das Glühen, Knochenbrühen, Verrenkungen, Amputationen, Bruch
schäden, Operationen, Laparotomien etc.). Die mannigfachen Illustrationen des
Werkes tragen nicht wenig zum Verständnis des Textes bei.
Zum Schluss möge es uns verstattet sein, die allgemeine Zusammenfassung
des behandelten Materials in einer anschaulichen psychologischen Perspektive
wenigstens auszugweise liier wiederzugeben: „Priester, Beichtvater und Arzt zu
gleich, versteht es der Medizinmann, das religiöse Bedürfnis und die seelischen
Empfindungen seiner Gemeinde seinen ärztlichen Verordnungen anzupassen. Furcht
vor der Gottheit, Opfer und Busse, sowie die beängstigende Nähe der Dämonen,
deren Kommen und Gehen und deren Sprechen er durch des Medizinmannes
Bauchrednerkunst mit seinen gespannt lauschenden Ohren deutlich zu vernehmen
vermag, üben auf das überreizte Nervensystem des Patienten einen gewaltig sugge
stiven Einfluss aus. Vorsichtige Sorge für die Entleerung des überfüllten Magens
und Darmes, Regelung der Diät und körperliche Uebung werden ebenfalls in An
wendung gezogen. Operative Eingriffe erzwingt bisweilen die Not des Augenblicks.
Waren sie mehrmalils von Erfolg gekrönt, so entwickelt sich der chirurgische Mut.
Und ist nun diese Kühnheit im Operiren auch oft nur eine Kühnheit des Unver
standes, welche von der drohenden Gefahr auch nicht die leiseste Vorstellung be
sitzt, so geht aus solcher Kühnheit doch allmählig die chirurgische Gewandheit
hervor, und dieser folgt dann naturgemäss allmählig zielbewusstes Können. —
Gilt dies für die Naturvölker allein? Keineswegs, denn auch dem Gliedersetzer
und dem Renkdoktor unseres Landvolkes kommt das Selbstbewusstsein auf gleiche
AVeise. Aber auch mancher hochangesehene Schneiderarzt, mancher Bruch- und
Steinschneider oder Staarstccher hat in verflossenen Jahrhunderten bei uns eine
ganz ähnliche Entwickelung durchlaufen. Möge es hiermit genügend sein. Ist es
doch, glaube ich, hinreichend bewiesen, dass ein gemeinsames, festes Band sich
durch diese Ideen hindurchschlingt, das die Naturvölker untereinander, sowie mit
den Völkern des Altertums und mit unseren niederen Volkschichten verbindet.
Und so sind wir denn gezwungen, in diesen Gedankengängen gleichsam eine not
wendige Funktion des primitiven Menschenlebens zu erblicken, und somit dokumen-
tiren sie sich als dasjenige, was wir in der Einleitung behauptet haben, als echte
und wahre V ölkergedanke n.“ (S. 311.) Th. A c h e 1 i s.
Herausgeber: Dr. Friedrich S. Krauss, Wien VII/2. Neustiftgasse 12.
Verwaltung in Lunden in Holstein.
Druck von Diedr. Soltau in Norden.