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letzten Ueberreste des einst weitverbreiteten Wendenvolkes durch eigene Anschauung
und Umfrage kennen zu lernen. Er ist ein kritisch veranlagter und kritisch geschulter
Volkforscher, der nicht nur die gesamte engere einschlägige Literatur kennt,
sondern sich auch tüchtig im Folklore anderer, verwandter Völker umgesehen hat.
In der Einleitung präcisirt er unseren folkloristischen Standpunkt (sehr gut und
verständig) und nennt auf S. 10—13 die bisherigen Sammlungen, die er mitbenützt
hat. Dankenswert sind die Auszüge aus den uns sonst kaum oder gar nicht zugäng
lichen kleinen serbischen Zeitungen der Lausitz. Nur der bibliographischen Voll
ständigkeit halber führe ich noch des Dr. Veckenstedt Quacksalbervortrag über
den ‘König der Wenden, Slaven und russischen Zigeuner’ an, der y im Bericht des
Litterar. Central-Vereines in Leipzig 1886, S. 51 f. abgedruckt ist, Cernys Buch
ist eine höchst willkommene Ergänzung zu Hauptens und Sclmlenburgs muster-
giltigen Sammlungen und der erste, im grossen angelegte, glückliche Versuch zu
einer wissenschaftlichen Verwertung der vorhandenen Materialien für die allgemeine
Volkkunde. Er bespricht der Leihe nach die Hausgeister (Kubolcik = Kobold,
Spilitus = Spiritus domesticus, Schlangen (zmij, plon); die Zauberfrau Boze sedlesko,
Hausmännchen, Zwergmännlein, Ilolzweibl, Unterirdische, schlafende Ritter im Berge,
Waldgeister (hobry, graby, dziwica, dziwja zona, die Mittagfrau, smerkawa, worawy,
Schicksalfrauen, Wechselbälge, Krankheitgeister, Pestfrauen (mor, masc.), Todfrau,
Sonne, Mond, Sterne, Schummerzeit, Winde, Dietrich von Bern (Dyterbjernat), das
wilde Heer, der Nachtmann. — An erquickender Abwechslung und gediegener
Belehrung fehlt es hier nicht, und auch nicht an Humor. Freilich ist dies kein
beabsichtigter Humor, sondern ein individueller, für einen intimeren Kreis von Sach
kennern berechnet. Es ist eine kunstgerechte, allen Anforderungen genügende
Zerfleischiuig des übelberüchtigten Fälschers Veckenstedt, der einen 518 Seiten
Lex.-Form. starken Band Fälschungen ‘Wendischer Sagen, Märchen und abergläubischer
Gebräuche’ i. J. 1880 unter dem Protectorate des o. ö. Prof. f. Slavische Philologie
Dr. Gregor Krek zu Graz veröffentlichte. Der sittenstrenge Herr Prof, lvrek hatte
wohl seine guten Gründe dafür, einen Veckenstedt und dessen erbärmliche Er
dichtungen mit Sympathie zu begleiten. Dass Veckenstedt keinen blauen Dunst
von der Sprache der lausitzer Serben besitzt, und dessen grammatische Salbadereien
über slavische Worte an trivialer, unbegreiflicher Ignoranz das menschenmöglichste
leisten, muss Herr Prof. Dr. Krek als Censor und Tutor des Veckenstedtischeu
Manuscriptes, späterhin als Fürsprecher des Buches gleichsam als eine Grosstat
gebilligt haben. Die Lösung des psychologischen Rätsels ist einfach: In den Augen
eines Veckenstedt kann Krek als ein Slavist und Gelehrter brilliren. Veckenstedt
ist nicht im Stande, ihm in die Karten zu schauen v iind das Spielchen zu verderben.
So einen braven Mann fördert Prof. Krek gerne. Cerny, der Folklorist, ist aber
ein hochwürdiger, geistlicher Herr und berufmässig gewohnt, das Kind beim wahren
Namen zu nennen, und so heisst er denn unseren Veckenstedt einen Fälscher,
Täuscher, Bundschuh etc. etc. Er zerfetzt ihn bald über dem Strich, bald unterm
Strich fast auf jeder Seite, ohne Gnade und ohne Erbarmen. Das beste sagt er
aber doch schon auf S. 11: Wenn man die Beiträge H. Jordans und Rabenaus aus
Veckenstedts Buch aussondert, bleibt nur ein Haufen Verdrehungen, Sch windeleien
und v krasser Unwissenheit zurück. In der umständlichen Genauigkeit, mit
der Cerny die v Beweise dafür erbracht hat, liegt eben der grausame Humor. Der
Referent im Cesky Lid (1893, S. 631) und Muka in der Luzica (XII. S. 63) beklagen
Veckenstedt als einen Krebsschaden für den lausitzer Folklore. Alle diese schönen
Erörterungen müssten dein Dr. Veckenstedt ein Geheimnis bleiben, da er ja die
serbische Sprache der Lausitz ebensowenig als cecliiscli versteht. Da aber Vecken
stedt als treuer Abonnent des Urquells Anspruch auf meine Erkenntlichkeit hat,
hielt ich mich für verpflichtet, um mir seine Kundschaft zu sichern, etwas aus
führlicher über sein Charakterbild in der Meinung obgedachter Forscher zu berichten.
K r a u s s.
Herausgeber: Dr. Friedrich S. Krauss, Wien VII/2. Neustiftgasse 12.
Verwaltung in Lunden in Holstein.
Druck von Diedr. Soltau in Norden.