B. Keferate. Ethnologie.
363
Auf Kaniet herrscht derselbe Verfall; die Bevölkerung beläuft sich auf
höchstens 30 Individuen, der Mehrzahl nach alte Leute; Kinder und Säuglinge
fehlen; die Ursache davon soll vorwiegend an der Sterilität der Männer liegen.
Der Ninigo-Archipel zählt auf seinen etwa 40 grösseren Schuttinseln
ca. 400 Einwohner, die physisch den unzweifelhaften Eindruck einer nicht
homogenen Bevölkerung machen. Pfeil und Bogen fehlen, dagegen zeigen
die Speere einen auffallenden Formenreichtum.
Popolo-Hunt hat Thilenius nicht selbst besucht. Zwischen Ninigo
und Popolo bestehen rege Beziehungen; Ninigo-Mädchen heiraten sogar ge
legentlich nach Popolo, doch sollen umgekehrt Popolo-Männer und -Weiber
niemals nach Ninigo gekommen sein. Die Abgeschlossenheit von Popolo
folgt nach Th. aus dem Mangel eines geeigneten Verkehrsmittels; Popolo
kennt das Segel nicht.
An diese Einzeldarstellungen, die für den Ethnographen doppelten
Wert besitzen, weil sie, mit Ausnahme von Popolo-Hunt, auf Selbstan
schauung beruhen, werden im zweiten Teil der Arbeit die sich ergebenden
Schlüsse und Polgerungen angereiht, die Thilenius in folgendem zusammen
fasst: „Die indonesischen und die ostasiatischen Beziehungen unserer Inseln
können seit Jahrhunderten bestehen, sind aber, sofern sie durch Premde
vermittelt wurden, nur gelegentliche und nicht so regelmässige, wie es die
durch Trepangfischer hergestellten Verbindungen mit Yap und den westlichen
Karolinen während Jahrzehnten waren. Nimmt man im übrigen die ein
fachsten Verhältnisse an und lässt die in Betracht kommende Küste von
Neu-Guinea als rein melanesisch gelten, so enthalten die Bevölkerungen von
Taui, Agomes, Kaniet, Ninigo, Popolo-Hunt mindestens zwei verschiedene
Elemente, ein melanesisehes und ein nicht-melanesisches, von denen letzteres
ausschliesslich in Mikronesien vorkommt. Es sind indessen Hinweise genug
vorhanden, welche weitere Elemente vermuten lassen“. In dieser Beziehung
ist die Thatsache von Belang, dass ein malayischer und damit Hand in Hand
ein chinesischer Handel längs der Nordküste von Neu-Guinea bis in die
Nähe der Astrolabebai seit Jahrhunderten stattfand, sodass indonesische und
ostasiatische Elemente leicht auf diese Inseln gelangen konnten. Eine Ver
bindung „Engano-Popolo“ hat für Thilenius nichts Unwahrscheinliches.
Als Anhang ist dem Buche ein Verzeichnis von Worten aus den
Sprachen von Tani, Agomes, Kaniet, Nimigo, Popolo beigegeben. Zahlreiche
Textabbildungen und zwanzig Tafeln illustrieren und ergänzen aufs trefflichste
das hervorragende Werk. Bezüglich der Abbildungen wäre nur das Ab
decken des Hintergrundes der anthropologischen Typenbilder zu rügen, wo
durch der wissenschaftliche Wert, namentlich der Gesichtsprofile, manchmal
geradezu illusorisch gemacht wird. Dieser, leider noch sehr allgemein ver
breitete Unfug sollte endlich abgestellt werden.
Hofrat Dr. B. Hagen-Frankfurt a. M.