A. Originalarbieten.
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Stangen getragenen grossen Moskitonetz einherging, 1 ) so ist das
allerdings eine Art von Baldachin, die schwerlich unseren Beifall
hat; dennoch dürfte man nicht berechtigt sein, die Verwandtschaft
dieses Moskitonetzes mit dem seidenen, goldstrotzenden Thronhimmel
alexandrinischer Bräute 1 2 ) zu bestreiten. Sehr eigentümlich ist auch
der Baldachin, den in Tunis die Sitte den Frauen, aber mit ganz
besonderer Strenge deu Bräuten vorschreibt; sie müssen sich auf
der Strasse derartig verhüllen, dass der mit weit ausgebreiteten
Armen gehaltene Schleier vom Scheitel bis zu den Knieen in einer
Weise herabfällt, die aufs lebhafteste an einen Baldachin erinnert. 3 )
Der Gedanke, dass über dem Haupte der Braut, zum mindesten in
den entscheidenden Augenblicken ihres Daseins, eine baldachinartige
Bedeckung schweben müsse, tritt ferner in einer Erzählung Gerst.
äckers zu Tage. Derselbe teilt zunächst mit, dass, so oft im
chinesischen Viertel von Batavia eine Hochzeit stattfindet, die Braut
mit stets niedergeschlagenen Augen im Zuge schreitet; dann erzählt
er, dass, als die diademgeschmückte Braut, die er selbst sah, im
Begriffe war, in den Wagen, der sie zum Hause des Bräutigams
bringen sollte, einzusteigen, zwei männliche Hochzeitsgäste auf sie
zuschritten, um ein — Reissieb verkehrt über sie zu halten. 4 )
Oft genug wird der die Braut verdeckende Thronhimmel durch
eine andere Art von Umhüllung ersetzt, die aber wiederum ein
priesterliches Gepräge trägt; denn sie erinnert an die Kapuzen der
Mönche oder Derwische, an das Schleiertuch mexikanischer und
griechisch-katholischer Priester, an das verhüllte Haupt der des
Götterspruches harrenden Auguren und an den mit verhülltem Haupte
auf dem Karmel um Regen flehenden Elias. Bei Dithmarschen und
Skandinaviern wurde das Gesicht der Braut so völlig mit einem
Leintuche bedeckt, dass, wer sie ansehen wollte, sich unter das
Linnen beugen musste. 5 6 ) Auf Sylt hatte die Braut das Gesicht und
den Oberkörper mit einem Umhang zu verdecken, aus dem sie nur
durch eine viereckige Öffnung heraussah. 0 ) ln Hessen, wo die Braut
mit offenem, frei herabwallenden Haar das Haus des Bräutigams
betrat, wurde ihr während der Fahrt auf dem Braut wagen ein
weisses Tuch über den Kopf gehängt. 7 ) Während die lettische Sitte
1) Junker, Reisen in Afrika. Wien 1889. III 469.
2) Sepp a. a. 0. II 668.
3) Platz, Die Völker der Erde. Würzburg. 1. Aufl. IV 530.
4) Gerstäcker, Reisen. Stuttgart 1854. V 45.
5) Weinhold I 386; Klemm II 168.
6) Weinhold I 386.
7) Klemm II 175.
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