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B. Referate. Anthropologie.
„Anatomieleichen“, die im Spital, in Gefängnissen, Arbeitshäusern etc. Ver
storbenen, die Hingerichteten, aus deren Nachlass nicht einmal die Kosten
der einfachsten Beerdigung (25 M.) bestritten werden können. Klasse B
sind die „Beerdigungsleichen“, von Personen herrührend, die aus öffentlichen
Mitteln im Spital verpflegt, aber auf Kosten ihrer Verwandten beerdigt
werden. Klasse C, die „Kapellenleichen“, enthält Leute, die auf eigene
Kosten verpflegt und bestattet werden, und zu deren Vorrechten die ge^
sonderte Aufbahrung in der Leichenkapelle (nicht in den allg. Leichenräumen)
gehört. Hie erste Klasse besteht zu 86°/ 0 aus Taglöhnern, Arbeitern und
Handwerksgehilfen, Klasse C zu 78°/ 0 aus Kleinbürgern, Handwerksmeistern
Landwirten, Subalternbeamten u. s. w.
Es ist merkwürdig, dass so geringfügige soziale Unterschiede schon
recht erhebliche anthropologische Differenzen begründen. Überall zeigt
sich, dass Klasse A eine Auslese von B nach. unten, Klasse C eine solche
nach oben bildet. So ist die Körperlänge bei A um 1 mm kleiner, bei C
dagegen um 20 mm grösser als bei B. Der Unterschied zwischen A und B
wäre gewiss erheblicher, wenn die erstere Klasse einheitlicher zusammen
gesetzt wäre. Sie enthält aber, wie aus Obigem hervorgeht und von Pfitzner
wiederholt betont wird, auch viele „Gescheiterte“, die eigentlich einer höheren
sozialen Position entstammen. Es ist deswegen begreiflich, dass der Unter
schied zwischen A und B kleiner ist als zwischen B und C. Der Verfasser
nimmt die Sonderung nach Lebensaltern vor und zeigt die konstant durch
gehende Wiederkehr des Ergebnisses, dass die höhere soziale Klasse von
grösserer Statur ist.
Auch diese Untersuchung wurde auf die Haar- und irisfarben, sowie
auf die Sitzgrösse, Bein- und Armlänge, Kopf- und Gesichtsmasse ausge
dehnt, und die Darstellung geschieht mit der Sorgfalt, die man allerwärts
bei Pfitzner als besonderes Merkmal begegnet. Am merkwürdigsten sind
die Unterschiede in den Kopfmaassen. Der Kopfumfang von Klasse A
ist bei den Männern um 0,8 mm kleiner, bei C um 7,4 mm grösser als
bei B. Auch hier zeigt sich, dass der Schritt von A nach B nicht so gros&
ist wie der von B nach C. Bei den Frauen sind die Ziffern — 4,9 mm
und -j- 5,9 mm. Der Kopfindex der Männer ist in Klasse A 83,3, B 83,1
und C 83,9, was keine besonders charakteristischen Ergebnisse sind. Referent
möchte nur darauf aufmerksam machen, dass die grössere Rundköpfigkeit
der Gewerbetreibenden (Klasse C) sich auch aus den Untersuchungen an
bad. Wehrpflichtigen und Schülern erschliessen liess, während die studierten
Klassen mehr langköpfige Individuen zählen und darum einen niederem
mittleren Index haben. Pfitzner hat sich jedoch mit den Untersuchungen
in der Anatomie nicht begnügt. Es fiel ihm auf, dass er in den Gesell
schaftsklassen, in denen er persönlich verkehrt, viele Frauen von 175 cm
und sogar bis 180 cm bemerkte, während solche von 175 und darüber