Internationales Centralblatt
für
Anthropologie und verwandte Wissenschaften
in Verbindung mit
D. Anutschin-Moskau, T. de Aranzadi-Barcelona, G-. Colini-Rom,
A. Götze-Berlin, Fr. Heger-Wien, J. Heierli-Zürich, A. Keane-London,
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R. Martin-Zürich, 0. Montelins-Stockholm, S. Reinach-Paris, L.
Stieda-Königsberg, A. v. Török-Budapest und anderen Fachgenossen
herausgegeben und geleitet von Dr. phil. et med. G. BllSChatl, Stettin.
7. Jahrgang, Heft 1. 1902.
A. Originalarbeit.
Die Beziehung der linken Hand zum weiblichen
Geschlecht und zur Magie.
Von V. Jäkel.
Ein Kapitel des magischen Papyrus bestellt aus den Worten:
„Rechts, rechts. Links, links. Ich bin Anubis-Sopt, der Sohn des
Ra“. * 1 )
Aus dieser merkwürdigen Textstelle allein könnte man schliessen,
dass das Gedankenleben der Völker, das ja bei näherer Betrachtung,
je länger, je mehr, sich als ein höchst einheitliches darstellt, der
rechten und der linken Seite eine besondere Bedeutung beilegt —
hätte nicht schon Bachofen darauf hingewiesen, dass in der ägyp
tischen Mythologie die linke Seite als ein Symbol der Frau, die
rechte als ein Symbol des Mannes gebraucht wird, und wüssten wir
nicht, dass viele Völker, wie die Sudanesen und Kongo-Neger, die
linke Hand in tiefer Verachtung halten, während bei den Chinesen
die Ehrenstelle im sozialen Verkehr nicht nach europäischem Ge
brauch zur Rechten, sondern zur Linken ist.
Dass die linke Hand für ein weibliches Sjunbol gilt, erscheint
als eine, soweit meine Kenntnisse reichen, in den verschiedensten
Gegenden Afrikas, Asiens und Europas beobachtete Thatsache. Die
alten Ägypter pflegten einen König oder Gott mit dem rechten Auge,
eine Königin oder Göttin mit dem linken Auge zu vergleichen. So
wird auf der Metternich-Stele der Gott Horus angeredet: „Dein
rechtes Auge ist als Gott Schu und dein linkes Auge als Göttin
1) Brugsck, Religion und Mythologie der alten Ägypter. Leipzig 1891. S. 724.
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Intern. Centralblatt für Anthropologie. 1902.