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B. Referate. Anthropologie.
schieden und in Verhältnis zu ihnen die Sensibilitätsbefunde am Gesichts-,
Gehör-, Geschmacks- und Geruchsinn verglichen. Auch hier stellt sich das
zu erwartende Faktum heraus, dass ohne Rücksicht auf Alter, Erziehungs
einflüsse u. ähnl. der Zufallsverbrecher noch am meisten dem normalen
Menschen gleicht, während der Gewohnheitsverbrecher die meisten Störungen
aufweist und der Gelegenheitsverbrecher in der Mitte steht.
Dr. Adolf Passoiv-Meiningen.
84. J. M. S. Wood and A. R. Urquhart: A family tree illustra
tive of insanity and suicide. Journ. of mental science.
1901. Yol. XLVI, S. 704.
Vorliegende Familiengeschichte nebst genauem Stammbaum bringt
neue Beweise für die Frage der Heredität und umfasst in 4 Generationen
65 Mitglieder. Von diesen waren 32 als gesund bekannt; 8 wurden als
mürrisch, finster, seltsam, trotzig geschildert; einer war Gewohnheitstrinker,
einer erhängte sich, 5 ertränkten sich, suicidale Neigungen hatten 4, aus
gesprochen geisteskrank waren 6 — über 12 war nichts zu erfahren.
Interessant ist unter den mittelst verschiedener Formen, Zeichen und
Geschlechtsunterscheidungen deutlich von einander zu trennenden Gesunden
und Kranken der ungünstige Einfluss der Geisteskrankheiten und der Selbst
morde. Unter den 29 Mitgliedern der vierten Generation findet man 5 mal
Geisteskrankheit bezw. Idiotie, 7 mal Eigentümlichkeiten und 2 mal Selbst
mord. Von den 6 Familien dieser Generation war nur eine — vermutlich
durch gesundes Blut einer nicht verwandten Mutter — völlig freigeblieben.
Das Nähere ergiebt sich aus der beigefügten Darstellung des Stamm
baumes. Leider finden sich keine Aufzeichnungen von kriminellen Dingen
und Alter der Einzelnen. j)r. Adolf Passoiv-Meiningen.
85. K. Bonhoeffer: Ein Beitrag zur Kenntnis des grossstädtischen
Bettel- und Vagabondentums. Eine psychiatrische Unter
suchung 1 . Zeitschr. für die gesamte Strafrechtswissenschaft.
(Berlin) 1901. Bd. XXI.
Verf. stellt die Frage: Welcher Art sind die Individuen, die immer
wieder dem Bettel und der Obdachlosigkeit verfallen? Er beantwortet sie
nach den Ergebnissen der Untersuchung von 404 Individuen aus dem
Centralgefängniss in Breslau, welche nach § 361, No. 4 und No. 6 bestaft
wurden; eine Auslese fand dabei insofern statt, als die mehrfach wegen
derselben Vergehen und anderer Bestraften ausgesucht wurden. Die Zahl
der Vorstrafen schwankte zwischen 6 und 60, sodass es sich sehr wahr
scheinlich nur um die definitv gescheiterten Existenzen handelte. Die Un
sicherheit der bisherigen Ergebnisse der Kriminalanthropologie veranlasste
den Verf. nicht nach morphologischen Erscheinungen zu suchen, und das