Centralblatt
für
Anthropologie, Ethnologie u. Urgeschichte.
Herausgegeben von Dr. phil. et med. G. Busch an.
Verlag von Hermann Costenoble in Jena.
5. Jahrgang. Heft 5. 1900.
A. Originalabhandlung.
Die Bedeutung der ostbaltischen Altertümer
für die Vorgeschichte der Provinz Ostpreussen.
Von Heinrich Kemke in Königsberg.
Wie Ostpreussen, geographisch betrachtet, genau in der Mitte
der baltischen Küste liegt, das Westbaltikum vom Ostbaltikum
scheidet, so nimmt es diese Mittelstellung auch in archäologischer
Hinsicht ein.
Es kommen hier nämlich in den verschiedenen Perioden der
Vorgeschichte (die in Preussen erst im 1B. Jahrhundert mit der Be
setzung des Landes durch den Deutschen Orden endet) zahlreiche
Formen vor, die teils nach dem Westen (oder Süden), teils nach
dem Osten (oder Norden) hinweisen oder dort zu Hause sind. Dieser
Umstand ist besonders in chronologischer Beziehung wichtig, da die
ostpreussischen Altertümer auf diese Weise von mehreren Richtungen
her ihre Datierung empfangen.
In besonderem Grade macht sich dies bemerklich in den
späteren Perioden der Vorgeschichte, etwa vom 6. Jahrhundert nach
Christus an. Aus dieser Zeit, welche im Süden die Bildung germa
nischer Reiche auf früher nichtgermanischem Boden, im Norden und
Nordosten das Vordringen slavischer und anderer nichtgermanischer
Stämme an die Ostsee gesehen hat, waren ostpreussische Altertümer
bis vor kurzem nicht sicher bekannt. Erst neuere Gräberfunde
(vgl. meine Ausführungen in den Schriften der physikalisch-ökono
mischen Gesellschaft, Bd. XL, Königsberg, 1899, S. 87 ff) haben den
Beweis für ihr thatsächliches Vorhandensein erbracht. Neben
spezifisch preussischen Formen (z. B. Armbrustsprossenfibeln) sind
nämlich — z. T. in denselben Gräbern — zahlreiche germanische
Formen (Spangenfibeln, Riemenzungen, Schnallen u. a.) aufgetaucht,
Centralblatt für Anthropologie. 1900. 17