¿1
1
Die neue Angst vor dem Fel
Ethnographisches research up am Beispiel der Unternehmensforschung
Von Bernd Jürgen Warneken, Tübingen, und Andreas Wittel, Bochum
Wo in der volkskundlichen Literatur zur ethnographischen Feldforschung von
der »asymmetrischen“ Beziehung zwischen Forschenden und Beforschten 1 die
Rede ist, wird zumeist stillschweigend oder ausdrücklich davon ausgegangen, daß
jRe Forscherinnen und Forscher sich dabei in einer Position „sozialer Überlegen
st“ 2 befinden. Diese Annahme entspringt und entspricht einer Forschung, die
Sich primär mit unterbürgerlichen Sozialschichten oder marginalisierten Gruppen
beschäftigt, wie das zum Beispiel bei der volkskundlichen Dorfforschung, der
Ffandwerker-, Arbeiterkultur- oder Migrantenforschung der Fall ist. Aber zum
Beispiel in der Unternehmensethnographie, die in den letzten Jahren nicht nur ins
Blickfeld der hiesigen Ethnologie 3 , sondern auch der Volkskunde 4 gerückt ist, ist
es rnit der klassischen Forscher-Beforschten-Konstellation vorbei. Bei der Feldfor
schung für das DFG-Projekt „Kulturkonflikt im Büro“ 5 , die den Anstoß zu die-
sem Aufsatz gab, hatten es die Forschenden unter anderem mit Managernupd Inge
nieurinnen oder Ingenieuren als Interview- und Interaktionspartnern zu, tun, die
nen statusgleich, ja oft statusüberlegen waren: Statt des klassischen „research
OWn * ging es hier also um ein „research on equal terms“ oder gar ein „research
• Eine solche Asymmetrie im Forscher-Erforschten-Verhältnis aber stellt die
e ldiorscherinnen vor neue Probleme der Selbstbehauptung im Feld: Die „ethno
graphische Autorität“ muß hier nicht mehr allein gegenüber einer kritischen
V gl- z.B. Rolf Lindner: Die Angst des Forschers vor dem Feld. Überlegungen zur teilnehmenden
Beobachtung als Interaktionsprozeß. In: Zeitschrift für Volkskunde 77/1981, S. 51-66; hier S. 55.
Utz Jeggle: Verständigungsschwierigkeiten im Feld. In: Ders. (FIrsg.): Feldforschung. Qualitative
Methoden in der Kulturanalyse. Tübingen 1984, S. 93-112; hier S. 102.
Mgl. Uta Brandes, Richard Bachinger, Michael Erlhoff { Hrsg.): Unternehmenskultur und Stammes
kultur. Metaphysische Aspekte des Kalküls. Frankfurt am Main 1988; Sabine Helmers (FIrsg.): Eth
nologie der Arbeitswelt. Beispiele aus europäischen und außereuropäischen Feldern. Bonn 1993.
Grundlegend dazu Irene Götz, Alois Moosmüller: Zur ethnologischen Erforschung von Unterneh-
menskulturen. Industriebetriebe als Forschungsfeld der Völker- und Volkskunde. In: Schweizeri
sches Archiv für Volkskunde 88/1992, S. 1-30.
Das Projekt wurde 1993/94 von Eva Hesslinger und Andreas Wittel unter der Leitung von Bernd
Jürgen Warneken durchgeführt. Die in diesem Aufsatz angeführten Feldforschungsbeispiele basie
ren auf Recherchen von Andreas Wittel in einem der bei diesem Projekt untersuchten Betriebe, ei
nem südwestdeutschen Computerkonzern. Vgl. dazu: Andreas Wittel: Belegschaftskultur im
Schatten der Firmenideologie. Eine ethnographische Fallstudie. Berlin 1996. Weitere Publikatio
nen zu diesem Projekt: Eva Hesslinger, Andreas Wittel: Plakatierte Kultur. Über Firmenideologien
und deren Rezeptionsweisen. In: Soziale Welt 46/1995, S. 154-180; Andreas Wittel: Firmenideo
logie als Herrschaftsinstrument. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 92/1996, S. 79-105.