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Aus allen Erdtheilen.
dem ganzen Archipel den Namen gegeben hat. Nachweislich
zuerst gesehen wurde dieselbe 1616 von den Niederländern
la Maire und Schonten, näher untersucht 1700 von Dampier,
der ihre Jnselnatur nachwies und 1767 von Carteret; dann
folgten 1768 Bougaiuville, 1792 d'Entrecasteaux, 1827 d'Urville,
1872 Simpson, dann unsere,, Gazelle", 1877 bis 1879 Wilfred
Powell und zuletzt 1880 Dr. Finsch. Ihren Namen gab ihr
Dampier wegen ihrer prächtig grünen Wiesen, die ihn an Alt-
England erinnerten. N e u - I r l a n d tvurde zuerst am 7. Sep
tember 1767 von Carteret für England in Besitz genommen,
ebenso Nen-Hannover; 1879 unternahm Marquis de Ray seine
berüchtigte Koloniegründung in jenem Archipel, den er
„Nouvelle France" taufte. Er wurde für die dabei be
gangenen Schwindeleien im Januar 1884 in Paris zu vier
Jahren Gefängniß verurtheilt. Am 4. April 1883 nahm
dann die Regierung von Queensland diese Inseln und über
haupt alle zwischen 141° und 155° östl. L. Gr. in Besitz, ohne
daß Lord Derby diesen Akt ratificirte, und zuletzt hat sich
das Deutsche Reich zum großen Aerger der Australier dort
festgesetzt, hoffentlich dauernder als England, Frankreich und
Queensland vor ihm. Neu-Britannien, über welches wir
eine ganz neue Reisebeschreibung von Powell besitzen
(vergl. „Globus" 45, S. 327 „Powell's Aufenthalt auf Neu-
Britannien"), wird als ein Land von vielfach großer Schön
heit und Fruchtbarkeit geschildert, als ein Paradies, bewohnt
von Teufeln. Vielleicht wird man bei näherer Bekanntschaft
und guter Behandlung ein besseres Urtheil über sie gewinnen —
vorläufig wird ihnen Argwohn, Mißtrauen, Hinterlist, Verrath,
Grausamkeit und scheußliche Menschenfresserei zum Vorwurf
gemacht. So erzählt Powell, daß Eingeborene selbst ihn ge
warnt hätten, vor ihnen zu gehen, wenn sie bewaffnet
wären, aus Besorgniß, daß die Mordgier sie überwältigen
möchte. Es ist nur zu wahr — sagt er einmal — daß hier,
wo die Natur ihre größte Kunst angewendet zu haben
scheint, um die Erde zu verschönern, hier, wo ihre ver
schwenderische Hand nichts gespart hat, um diese Inseln als
ihre erlesensten Lieblinge zu kennzeichnen, daß hier ihr voll
kommenstes Werk, der Mensch, das einzige schlechte, ver
worfene Geschöpf ist.
— In Nukualofa aus der Insel Tongatabu befindet
sich — so entnehmen wir Privatbriefen von dort — außer
den Agenturen der Deutschen Handels- und Plan
tagengesellschaft der S üdseeiuseln (früher Godesiroy)
und der Firma Ruge & Comp., beide in Hamburg, uoch eine
Agentur der Firma Mc. Arthur & Comp, in Auckland.
Während die beiden ersteren ans dem besten Fuße mit ein
ander stehen, ist das Verhältniß zwischen den Deutschen und
Engländern ein recht gespanntes, da letztere die ausgesprochene
Absicht haben, unsere Landsleute einfach aus deut Geschäfte
hinauszuwerfen. Zu diesem Zwecke ist die Agentur von
Mc. Arthur & Comp, vor etwa auderthalb Jahren gegründet,
hofft ihr Ziel aber in einem bis zwei Jahren zu erreichen
und damit die Früchte derjenigen Saaten zu ernten, die die
Deutschen in langjähriger Arbeit ausgestreut haben. Sind
diese beseitigt, so steht nichts im Wege, die Inselgruppe für
eine englische Besitzung zu erklären, denn das jetzige König
reich Tonga kann sich nicht lange halten. Daß jenes nicht
schon längst geschehen ist, daran hat die Engländer nur der
Schachzug der deutschen Regierung gehindert, indem sie das
Königreich Tonga anerkannte. Hierdurch wurden sie ge
zwungen, ein Gleiches zu thun und dem König Georg seine
Unabhängigkeit zu lassen. An der Spitze seiner Regierung
steht Mr. Baker, der zu gleicher Zeit das Amt eines Chair
mans der englischen (wesleyanischen) Mission bekleidete. Da
er aber nicht genug im Interesse der Engländer arbeitete,
sondern auch dasjenige seines Königs ins Auge faßte und
den Traktat mit der deutschen Regierung abschloß, statt ihn
zu hindern, wurde die Mission wüthend und setzte ihn ab.
Trotz ihrer Bemühungen aber ließ sich König Georg, ein
Mann von 88 Jahren, einfach aber durchaus ehrenwerth, der
auf der Insel Vavan residirt, weil ihm die Parteistrcitig-
keiten in Nukualofa zuwider sind, nicht irritiren, sondern
behielt Mr. Baker als Premierminister bei. Die englischen
Missionen sind überhaupt nichts weiter, als Pioniere der
Annexion. Aus den intelligenten und entwickelungsfähigen
Tongauern haben sie ein heuchlerisches, eingebildetes, faules
und falsches Volk gemacht. So lange wir Deutschen mit
ihnen allein hier waren und sie unterstützten, waren die
Missionare unsere besten Freunhe. Seit sich die Engländer
hier eingenistet haben, giebt es keine Intrigue, deren sie gegen
uns nicht fähig wären. Namentlich suchen sie Mr. Baker, der
vom Kaiser mit einem hohen Orden dekorirt ist, den zu
tragen ihm aber die englische Regierung verboten hat, zu
stürzen. Die übrigen Ministerposten sind in den Händen des
Kronprinzen Wellington, des Enkels des Königs, eines
ganz charakterlosen Menschen, und einiger Chiefs. Da die
Regierung ihre Kopra kontraktlich an die Handels- und
Plantagengesellschaft verkauft und alle Waaren für Rcgierungs-
bauten u. s. w. von ihr bezieht, ist der Einfluß der Deutschen
uoch immer sehr groß, aber gesichert ist er nicht, und es wäre
sehr zu wünschen, wenn die deutsche Regierung sich ihrer
aus das Kräftigste annähme.
Vermischtes.
Der Stil und die Völker. Professor Franz
Keller-Leuzinger schreibt in einem Privatbriefe: „Sie
bemerken, daß bei den Maoris, den Indianern Nordwest
amerikas u. s. w. sich ein gewisser originaler Ornamentstil
herausgebildet habe, den für uns in analoger Weise zu
finden wir uns vergeblich bemühen. Aber jene Völker haben
ja gerade das, was dazu nöthig ist und was uns heute
abgeht! Ein Kunststil kann sich nur da eigenartig entwickeln,
wo überhaupt die ganze Kultur sich aus sich selbst heraus
weiter bildete und wo für Einflüsse von außen her keine
allzu große, besonders keine fundamental umgestaltende Ein
wirkung möglich ist. Wenn Japan in dein jetzt angenom
menen Tempo der Europäisirung weiter geht, so werden in
hundert Jahren nur schwache Reste vou dem übrig sein, was
wir jetzt japanischen Stil nennen. Ich selbst habe in Bra
silien erlebt, wie Jndianerstämme, die in den betreffenden
Missionen in nähere Berührung mit Weißen gekommen
waren und bessere Werkzeuge in die Hand bekommen hatten,
nicht nur keine besseren Erzeugnisse an Waffen, Geräthen,
Geweben u. s. w. lieferten wie früher, sondern schlechtere.
Wir Europäer sind heute viel zu kosmopolitisch durchsäuert,
um etwas Neues, Eigenartiges auf diesem Gebiete erfinden
zu können. Unsere Kunst beruht, wie unsere anderweitige
Geisteskultur, auf dem klassischen Alterthum und der Re
naissance, und dabei muß es bleiben."
Man sieht, wie hier ein Meister des Kunstgewerbes, der
zugleich ethnographische Erfahrungen besitzt, ein Lied singt
wie Adolf Bastian. „Nützet den Tag, denn es will Abend
werden", so lautet in der Ethnographie die Parole.
Inhalt: Reisen in Gurien und am oberen Kur. III- (Schluß.) (Mit vier Abbildungen.) — W. Kobelt: Skizzen
aus Algerien. II- (Schluß.) — R. Andree: Der fünfte Amerikanistenkongreß. — Spiridion Gopoevio: Streifzüge in
Portugal. III. — Kürzere Mittheilungen: Wissenschaftliche Abschreiberei. Bon R. Andree. — Die Erforschung des
ch'ingü. — Aus allen Erdtheilen: Asien. — Afrika. — Inseln des Stillen Oceans. — Vermischtes. (Schluß der Redaktion:
20. December 1884.)
Redakteur: Dr. N. Kiepert in Berti», S. W. Lindenstraße it, III Tr.
Druck und Verlag von Friedrich View eg und Sohn in Braunschweig.