Mit besonderer Herürksichtigung der Anthropologie und Ethnologie.
Begründet von Karl Andrer.
In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Richard Kiepert.
Braunschweig
Jährlich 2 Bände ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten
zum Preise von 12 Mark xro Band zu beziehen.
1885 .
Amazonas und Kordilleren.
(Nach dem Französischen des Herrn Charles Wieuer.)
VIII.
Der Aufenthalt im Wyse-See dauerte bis zum 14. März;
die Rückreise war schwierig und in einer Hinsicht unangenehm:
bei jeder Krümmung des Flusses streifte man die Bäume,
und zahlreiche Ameisen, die auf das Deck geschleudert wur
den, rächten sich an den Reisenden wegen dieser Orts-
veränderung; wiederholt kam man auch mit Wespennestern
in unangenehme Berührung. Wenn man aber von diesen
störenden Zugaben absah, hatte man allen Grund, sich der
interessanten Reise zu freuen. Die Masten waren nieder
gelegt, Mannschaften auf allen Punkten des Decks vertheilt,
die mit Aexten und Stangen in der Hand die Hindernisse
entfernen sollten, welche die Bäume boten; natürlich wurde
die Fahrt ohne Dampf gemacht. Ein 22 km vom See
entfernter Zufluß von hellem Wasser bildet eigentlich die
Grenze der Schiffbarkeit im gegenwärtigen Zustande, d. h. so
lange die Bäume nicht aufgeräumt sind. Am 15. Abends
passirte man den eigentlichen Samiria und um 8 Uhr
Marche-Mcu. Wie schon erwähnt, ist dies Land selbst bei
den Indianern so unbekannt, daß sie sich an Wiener wen
deten, um die Namen zu erfahren; dieser zögerte auch nicht,
den ihm befreundeten Forschern und seinem Verleger Hachette
eine Aufmerksamkeit zu erweisen, indem er seine Entdeckungen
nach ihnen benannte.
Wenn der Samiria einen Zufluß von hellem Wasser
aufnimmt, erhalten seine Fluthen einige Kilometer weit
eine schmutzigbraune Färbung, während sie sonst glänzend
schwarz sind. Das Wasser, welches in einem Glase eine
goldgelbe Farbe zeigt, besitzt einen sehr angenehmen Ge-
Globus XLVII. Nr. 15.
schmack; unter dem Mikroskop waren keine färbenden Par
tikelchen zu bemerken, durch Joseph-Papier filtrirt, behielt
es seine gelbe, durchaus nicht schmutzige Farbe. Der Boden
des Flusses besteht aus schwarzem, sehr feinem Sande, auf
dem oberen Samiria ist derselbe weiß. Am 18. März
war Wiener wieder im Maranon in der Nähe von Pari-
nari; nachzutragen wäre noch, daß der Samiria kurz vor
seiner Mündung ans dem linken Ufer einen großen See
bildet, dessen Abmessungen 300 zu 600 m betragen; er
hängt durch einen Kanal mit einem zweiten, kleineren See
zusammen, der jedoch nicht besucht wurde; die Tiefe beträgt
bis zu 40 m. Zu San Jose de Parinari wohnte Wiener
der interessanten Ceremonie der Uebcrgabe der Vara bei.
Es ist dies eine etwa 2 m lange Kiste, das Zeichen der
Würde der von den Indianern selbst erwählten Varayos
(Rathsleute); an der Spitze des aus ihnen gebildeten Rathes
steht der vom Gouverneur ernannte Curaca. Auf einem
Tische unter der Veranda stand ein Crucifix zwischen zwei
Kerzen von schwarzem Wachs und eine Schüssel mit Weih
wasser, davor zwölf Varas. Unter großem Zudrange der
Indianer erfolgte die Uebergabe derselben, welche mit einer-
feierlichen Anrede schloß. Herr Reatcgui, welcher dieselbe
hielt, sagte im Quichuadialekt: „Du empfängst die Vara für
dieses Jahr. Gieb, was deine Oberen von dir verlangen,
und thue, was sie dir auftragen. Das Dorf sei deinem
Schutze anbefohlen"; dann rief er die Varayos, welche niedcr-
gekniet waren, einzeln auf; sie empfingen nun die Varas
und einen Tropfen geweihten Wassers. Hierauf begann
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