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Kontinent von großartiger Ausdehnung geschieden . Dieses Kolonialland sieht sich mit seinem Verkehr nach Osten hin auf China , Japan , Amerika und auf das große Weltmeer hingewiesen .
Für jene Regionen erschien die Erweiterung der Verkehrsverhältnisse und die Sicherstellung der Handelsstraßen als eine Lebensfrage . In unseren Tagen gelang es der russischen Politik , das früher von Seiten Chinas streng festgehaltene System der Ausschließ - lichkeit zu brechen . Sie hat die Verlegenheiten , von welchen der Kaiser des Blumenreiches der Mitte seit längerer Zeit in so reichem Maße heimgesucht wird , klug benutzt , um viele alte Schranken niederzuwerfen , und damit wird auch für die Wissenschaft der Länder - und Völkerkunde eiue freie Bahn mehr gewonnen .
Durch Verträge ist das große chinesische Reich für russische Nuterthauen geöffnet ; auf der Insel Sachalin im Japanischen Meere sind bereits russische Niederlassungen gegründet worden ; die „ Annexionen " erstrecken sich über das ganze Amnrland und einen großen Theil des Gebietes am Ussnriflnsse ; China hat sogar die au trefflichen Häfen reiche Küste bis zur Grenze von Korea abgetreten . Diese Eroberungen sind von hohem Werthe .
Aber auch im Mittlern Sibirien ist nach Süden hin Vieles erreicht worden , und wir haben das Vordringen der Russen in dieser Region vor einiger Zeit ausführlich im Globus geschildert ( Band III , S . 181 ) . Hier möge nur hervorgehoben werden , daß nun in Kuldscha am Jli und in Tschngutschack russische Faktoreien augelegt worden sind ; ein Gleiches geschah im Gebiete von Kaschgar und zn Urga , wo auch ein russischer Resident wohnt . Ueber - Haupt sind die Fortschritte seit 1849 , als Graf Mnrawieff Generalgouverneur von Ostsibirien wurde , geradezu groß - artig . Die Schisfsahrt aus dem Amur ist frei ; man sah , daß das neuerworbene Land ein^ hervorragende Bedeutung gewinnen müsse , und nichts war erklärlicher , als der Wunsch und das Bedürsniß , dasselbe näher kennen zu lernen . Die geographische Gesellschaft zu St . Petersburg begriff voll - kommen , worauf es ankam , und betrieb mit Eifer das große Werk der Erforschung , so viel an ihr lag . Zunächst sollte die Region von Jrkntsk bis zum Jablonoi - Gebirge und südlich bis zur chinesische» Grenze erforscht werden . Die astronomisch - topographische Abtheilung leitete Schwarz , und er hat seine Aufgabe würdig gelös't ; für Zoologie und Botanik hat Radde Ausgezeichnetes geleistet . Dieser unser deutscher Landsmann ist der Erste , welcher ein physi - kalisches Gesammt - und Uebersichtsbild des Amurlandes nebst Danrien gegeben hat . Er umwanderte 1855 den Baikal - See , besuchte 1856 das russische Danrien ( Nord - ostende der hohen Gobi ) und das südlichste Apfelgebirge lJablouoi Chrebet ) mit dem Sochondo . In den Jahren 1857 und 1858 finden wir ihn am obern und Mittlern Amurlauf und im Buruja - oder Kamni - Gebirge ; endlich erforschte er 1859 das östlichste Sajau - Gebirge mit dem hohen Mnnkn Sardik und dem Kosso Gol - Plateau , das Oka - und Jrkntsystem , den Südwestwinkel des Baikal - Sees , das Kamaragebirge . Alle diese Regionen schildert er mit lebendig gezeichneten Zügen ; seine Dar - stellnng ist frisch und einfach , sein Sinn vornrtheilssrei und sein Blick scharf . ' )
* ) „ Berichte über Reisen im Süden von Ostsibirien ; im Auftrage der kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft aus - geführt in den Jahren 1855 bis inclusive 1859 von Gustav Radde . " St . Petersburg , 1861 . Das Werk ist ans Kosten der kaiserlichen Akademie herausgegeben , und enthält einen Atlas mit zwei Karten
sen in Ostsibirien .
Wir begleiten den Reisenden zunächst an den Baikal - See , dessen Wasserspiegel 1363 englische Fuß über dem Meere liegt .
Der Ba'ikal - See ist eine höchst interessante Erschei - nuug , ein Binnenwasser von mehr als 666 deutschen Ge - viertmeilen und einem Umsang von mehr als zweitausend Werste . Der erste Europäer , welcher der gauzen User - entwickeluug eutlaug gezogen , war unser deutscher Lands - mann Georgi im Jahre 1772 , uud seitdem hatten andere Forscher immer nur einzelne Strecken der Küste besucht . Aber Radde vollbrachte 1855 dasselbe , was Georgi vor ihm gethau , und wir verdanken ihm werthvolle Mittheilungen über den „ Heiligen See " , dessen südwestliches Ende unter 56<> 43' 21 " N . Br . und 121 0 29' 48 " Ö . Länge liegt ; das Nordostende unter 550 56' 26 " N . Br . , 1270 27' 4 " Ö . Länge . Der See ist von Gebirgen umschlossen , welche nirgends höher als 4666 Fuß über den Wasserspiegel emporreichen ; von denselben strömt eine außerordentliche Menge von größeren und kleineren Gesließen in das Becken hinab . Die größte Insel heißt Olchon ; die Wassertiefe ist beträchtlich ; an manchen Stellen fand Radde^ mit einem 766 Fuß langen Senkblei keinen Gruud .
Einen großartigen Eindruck machen die Nadelholz - wälder , die in geradezu uugeheurer Ausdehnung die Regio - nen am Ba'ikal - See bedeckeu . Fichten und Lärchen walten vor , die sibirische Ceder ist uicht so häufig und steht nur auf den höchsten Bergen , Tannen findet man nur tn ge - schützten Thälern . In diese dichten und düsteren Couiseren - Wälder dringt derWiud nur , wenn er scharsweht ; sie bilden einen starken Gegensatz zu den Birkeu mit den weißen Stämmen uud fernem Laube . Buchen uud Eichen wachsen nicht in der Baikalregion , deren Vegetationscharakter anfangs wegen ihres kolossal - einförmigen Charakters packt uud überrascht , aber auch sehr bald ermüdet und eine melan - cholische Stimmung hervorruft . Hin und wieder wächst in eineni wohlbewässerten Thalgrunde die Balsampappel , und an Strauchbäumen und Sträuchern ist die Flora sehr reich , besonders au Spiräen , die in nenn Arten vorkommen .
Diese Wälder gewähren den Pelzjägern immer noch eiue reiche Ausbeute . Diese stellen den Moschusthieren nach , dein sibirischen Eichhörnchen , dem Hirsch und dem Elenn , dem Bären , Luchse , Wolfe , dem Fjellfraß und denl Fuchs , am westlichen Eude des Sees auch dem Fischotter , uud in manchen Waldstrecken fehlt der Zobel ebensowenig wie der Marder .
In ethnologischer Beziehung stellt sich bei den An - wohnern des Baikal - Sees ein Gegensatz heraus . Die Buriäten gehören zum mongolischen Stamme , die Tun - guseu dagegen zum Maudschustamme , und beide Völker sind in ihren Neigungen , Anlagen und in ihrer geistigen
und elf Tafeln in Tondruck ; deu letzteren sind unsere Holzschnitte nachgebildet .
Radde trat seiue Reisen sehr juug an ; er ist 1831 in Danzig geboren , widmete sich mit Eifer den Naturwissenschaften und dem Studium der Erdkunde , unternahm schon 1852 eine Wanderung nach der Krim und verweilte zwei Jahre am Nordgestade des Pon - tns . Das war eine gute Vorbereitung für spätere Reisen .
Ich will hier bemerkeu , daß zu Eude de£ Jahres 1862 in St . Petersburg der erste Theil von Radde's Specialforschungen erschienen ist ; derselbe bebandelt die S äugethier - Fanna . Das Werk selbst habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen und keime deu Inhalt nur aus einer Besprechung der deutsche» St . Petersburger Zeitung vom 9 . November^ Nadde beschreibt 94 Säugethiere , schildert den Bären , dessen Sitten , Wanderungen und Abhängig - keit von Oertlichkeit und Nahrung ; entwirft Charakterzeichnnn - gen auch anderer pelztragenden Thiere , insbesondere des Zobels . Wir werden gelegentlich einige Mitteilungen aus diesem Werke bringen . A .